Travel Reference
In-Depth Information
Projekte kamen nicht voran oder versandeten im Getriebe der Bürokratie. Ihr
Ruf als effiziente Managerin entpuppte sich als Illusion: Es kam immer öfter
zu Stromausfällen, dabei war die Energiepolitik das Steckenpferd der Präsiden-
tin. Der Ausbau von Häfen und Flughäfen stockte, Gewerkschaften und Lob-
bygruppen blockierten oder verschleppten die nötigen Reformen. Die Fußball-
weltmeisterschaft 2014, die Lula mit großem Pomp nach Brasilien geholt hatte,
entpuppte sich als tückisches Erbe.
Auch der Wirtschaftsboom verebbte. Unter Lula war das Bruttoinlandspro-
dukt zeitweise über sieben Prozent gewachsen, im zweiten Amtsjahr Rousseffs
wuchs es um magere 0,9 Prozent. Die Präsidentin senkte deshalb die Zinsen
und versuchte, den Konsum mit immer neuen Krediten für Autos und Häuser
anzukurbeln, aber die meisten Brasilianer sind bereits hoch verschuldet.
Die Folgen des Konsumrauschs spürten die Brasilianer bald im Geldbeutel:
Die Inflation kehrte zurück. Die Preise für Lebensmittel und Dienstleistungen
stiegen rasant. Das traf vor allem die Mittelschicht, die ohnehin unter einer ge-
waltig gestiegenen Steuerlast ächzte. Zugleich brachen die Erlöse aus dem Ex-
port von Agrargütern und Rohstoffen ein: Die Weltmarktpreise fielen; China,
der wichtigste Abnehmer für brasilianische Soja, kaufte weniger als erhofft, das
Wachstum in den BRICS-Staaten bröckelte.
Brasiliens Politiker ignorierten den Mix aus Wirtschaftskrise, Inflation und
genereller Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Sie bauten darauf, dass die Fuß-
ballbegeisterung jede Kritik ersticken würde. Sie fühlten sich so sicher, dass sie
ungeniert in aller Öffentlichkeit Frivolität demonstrierten: Gouverneure ließen
sich von Baufirmen sponsern, Politiker luden Familienangehörige und Freun-
de in die Regierungsjets ein und flogen auf Staatskosten an den Strand oder zu
Fußballspielen.
Unter Rousseff steigerte sich die Frivolität der politischen Klasse ins Obszö-
ne. Die Präsidentin, der Großmannssucht fremd war, drückte jetzt beide Augen
zu, sie wollte ihre Verbündeten nicht verprellen.
Rousseff war eine Geisel des Systems geworden, sie besaß nicht das politi-
sche Geschick ihres Mentors Lula.
Die Melange aus ungelösten Konflikten, Inflation und Verachtung für die
korrupte politische Klasse war ein gefährlicher Cocktail. Doch niemand ahnte,
mit welcher Wucht sich der aufgestaute Frust entladen würde - ein Jahr vor der
Fußballweltmeisterschaft.
Search WWH ::




Custom Search