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Frau mit gleicher Qualifikation, zieht sie die Frau vor«, sagt Gilberto Carvalho,
der Chef des Präsidialamts.
Kompetente Frauen zu finden ist nicht schwer: Die Brasilianerinnen gehen
länger zur Schule und studieren häufiger als die Brasilianer. Das Land ist zwar
vom Machismus geprägt, aber die Gesellschaft trägt auch matriarchalische Zü-
ge. Der Mann hat auf der Straße das Sagen, ansonsten regiert die Frau.
Ein Drittel aller Familien wird von Frauen geführt, Männer treten oft nur
als Erzeuger in Erscheinung. Die Sozialhilfe »Bolsa Família« wird bevorzugt an
Frauen ausgezahlt, sie zeigen mehr Verantwortungsbewusstsein. Dennoch ver-
dienen berufstätige Frauen ein Drittel weniger als Männer in gleicher Positi-
on. Nur in der Politik gibt es eine Quotenregelung: 30 Prozent aller Kandida-
ten für Bürgermeister-, Gouverneurs- und Abgeordnetenposten müssen Frau-
en sein. Bislang war das ein Lippenbekenntnis: »Die Parteien behaupten, dass
sie nicht genügend qualifizierte Frauen finden«, klagt Marta Suplicy, Vizepräsi-
dentin des Senats. »Aber das ist ein Vorwand, sie bemühen sich nicht.«
Suplicy gehört der regierenden Arbeiterpartei (PT) an, sie hat lange für die
Gleichstellung der Geschlechter gekämpft. Bekannt wurde sie in den 1980er
Jahren, als sie sich für die Gleichstellung Homosexueller einsetzte.
Später regierte sie die Millionenstadt São Paulo. »Bevor ich meine Antritts-
rede hielt, kam ein befreundeter Politiker zu mir und erklärte: Du sagst ein paar
nette Worte zur Begrüßung, ich erläutere anschließend die Haushaltslage. Ich
habe ihm erst mal klarmachen müssen, wer von uns beiden zum Bürgermeister
gewählt worden ist«, sagt Suplicy.
Die erbittertsten Gegner jeglicher Frauenförderung sitzen im Kongress: Reli-
giöse Gruppen und patriarchalische Männerbünde blockieren jede Liberalisie-
rung, etwa in der Abtreibungsfrage. »Nur in der Regierung sind wir stark«, sag-
te mir Suplicy. »Das haben wir allein der Präsidentin zu verdanken.«
Unter Präsident Lula hätten sich die Männer im Palast gern an Machos-
prüchen erwärmt, bekennt Präsidialminister Carvalho. Das hat Lula aber nicht
daran gehindert, eine Frau als Nachfolgerin aufzubauen. Rousseff regiert den
Männerzirkus Brasília mit strenger Hand.
Sieben Minister wechselte sie in den ersten Regierungsmonaten aus, sechs
wegen diverser Korruptionsskandale. Die Patriarchen der betroffenen Parteien
aus ihrem Regierungsbündnis klagten und drohten, doch die Präsidentin ließ
sich nicht einschüchtern. Das politische Großreinemachen zahlte sich zunächst
aus: Keiner ihrer Vorgänger war nach einem Jahr Amtszeit so beliebt wie sie.
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