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Systematisch baute Lula Brasiliens internationalen Einfluss aus. Er suchte
Verbündete für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, rüstete die veralte-
ten brasilianischen Streitkräfte auf und befeuerte einen neuen Nationalismus.
Die Finanzkrise von 2008 markierte aus Sicht der Brasilianer den Beginn ei-
ner neuen politischen Ordnung. »Wir marschieren auf eine multipolare Welt
zu«, sagte mir Lulas außenpolitischer Berater Marco Aurélio Garcia, »Südame-
rika wird einer dieser Pole sein.« Staatsstreiche wie in Honduras wolle Lula
nicht länger dulden. »Jahrzehntelang haben wir unseren Nachbarn den Rücken
zugekehrt, dabei haben wir so viele Grenzen wie kaum ein anderes Land«, er-
klärte Garcia.
Der bärtige Professor aus dem südbrasilianischen Porto Alegre war einer der
Architekten der neuen brasilianischen Außenpolitik. Ich besuchte ihn in seinem
Büro in Brasília, das nur wenige Zimmer von den Amtsräumen des Präsidenten
entfernt lag. Während der Militärdiktatur war Garcia im Exil gewesen, später
beriet er Lulas Arbeiterpartei PT in internationalen Fragen. Kritiker verspot-
teten den Altlinken als brasilianischen Rasputin. Sie warfen ihm vor, er sei es
gewesen, der Zelayas Rückkehr nach Honduras eingefädelt habe - gemeinsam
mit dem damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Garcia bestritt
das.
Das Dementi hatte seinen Grund. Die Regierung Lula wollte den Eindruck
vermeiden, sie spiele sich als Ordnungsmacht à la Washington auf. Denn in den
kleineren südamerikanischen Ländern wird das neue brasilianische Selbstbe-
wusstsein mit gemischten Gefühlen registriert. In Bolivien, Ecuador und Para-
guay machen Lokalpolitiker Stimmung gegen die »neuen Gringos« aus Brasili-
en.
Zu seinen linkspopulistischen Amtskollegen Hugo Chávez in Venezuela und
Evo Morales in Bolivien pflegte Lula dennoch ein enges und herzliches Verhält-
nis. Chávez, Lula und Morales einte mehr als politische Sympathie: Die drei
hatten ihren Aufstieg gegen die traditionellen Eliten des Landes durchgesetzt,
sie wurden von den alten Herrschaftsschichten wegen ihrer Herkunft belächelt
- Chávez als Mestize und ehemaliger Unteroffizier aus dem Landesinneren,
Morales als Abkömmling der Indianer, Lula als Proletarier. Obwohl Lulas Wirt-
schaftspolitik den Banken und Reichen des Landes so viel Gewinn wie nie zuvor
bescherte, verachtete ihn die alte Wirtschaftselite in São Paulo.
Viele meiner Journalistenkollegen sahen in Lula einen Gegenpol zu Chávez.
Diese Meinung habe ich nie geteilt, sie entsprach Wunschdenken. Lula hat aus
seiner Verehrung für den Venezolaner nie einen Hehl gemacht. Als ich ihn 2008
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