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das jedes Jahr von der deutsch-brasilianischen Handelskammer ausgerichtet
wird. Der einzige deutsche Minister, der zu der Veranstaltung gekommen war,
der damalige Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, war bereits ab-
gereist, als Lula kam, auch der Präsident des Bundes Deutscher Industrie (BDI)
war nach Argentinien weitergereist. Die Stelle des deutschen Botschafters in
Brasília war seit Monaten unbesetzt, so dass Lula vom stellvertretenden Ge-
schäftsträger der Botschaft empfangen wurde. Lula ist kein Protokollfreak, aber
diese Missachtung haben die Brasilianer sehr wohl vermerkt.
Der Kontrast zwischen dem Menschenfischer Lula und seinem Vorgänger
Fernando Henrique Cardoso konnte kaum größer sein. In Lulas Umgebung
wurde Cardoso als »Prinz Europa« verspottet. Er bezirzte die Kollegen in Paris
und London. Vier Sprachen beherrschte der weltläufige Soziologe, doch vor den
Arbeitern daheim fehlten ihm die Worte. Lula sprach nicht einmal Englisch
(Bush auch nicht, deshalb verstanden sich die beiden so gut, witzelte man). Die
Fünf-Sterne-Köchin, die Cardoso die Mahlzeiten bereitete, schickte Lula nach
Hause, dafür baute ihm Stararchitekt Oscar Niemeyer einen neuen Grill, wo er
am Wochenende Steaks und Würstchen mit seinen Freunden brutzelte.
Sonntags gehörte Lula seiner Familie, dann wurde im Palastgarten Fußball
gespielt. In kurzen Hosen und ohne Hemd kickte der Staatschef mit Freunden
und Ministern. Mehrmals trat das halbe Kabinett am Montag mit blauen Fle-
cken und malträtierten Knöcheln an.
Ein Paparazzo schoss eines der aussagekräftigsten Fotos des Präsidenten, als
dieser mit seiner Familie in Bahia Urlaub machte: Lula schleppte eine Styropor-
kiste mit eisgekühltem Bier an den Strand, so wie Millionen Brasilianer. »Lula
ist einer von uns«, sagte mein brasilianischer Freund und Mitarbeiter Luíz, als
er dieses Foto sah. »Er redet wie wir, er fühlt wie wir, er ist ein Brasilianer aus
der Mitte des Volkes.« Lula hat den Millionen Armen und Ausgeschlossenen
des Landes eine Stimme gegeben. Er schlug Brücken zwischen Arm und Reich,
fand Wege, wo andere längst die Hoffnung aufgegeben hatten. Erst wenn nichts
mehr ging, schlug er mit der Faust auf den Tisch, das hatte er bei der Gewerk-
schaft gelernt. Entscheidungsschwach war er nicht.
Als größte Leistung Lulas gelten seine Erfolge bei der Bekämpfung des
Elends und der Aufstieg von über 20 Millionen Armen in die untere Mittel-
schicht, die sogenannte Classe C. Kurz nach Amtsantritt legte er ein Programm
zur Hungerbekämpfung auf, genannt »Fome Zero«; auf Deutsch etwa: »Schluss
mit dem Hunger«.
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