Travel Reference
In-Depth Information
»nur« ein bärtiger Gewerkschafter aus dem Industrierevier von São Paulo war.
Lula hat Schmidt diese Geste nie vergessen, sie wertete ihn politisch auf und
setzte ein politisches Signal gegenüber der Diktatur. Als Lula im Jahr 2010 auf
Staatsbesuch nach Berlin fuhr, bestand er auf einem Abstecher nach Hamburg,
um den Altkanzler zu besuchen.
Amüsant war es zu beobachten, wie Außenminister Guido Westerwelle sich
vor einigen Jahren während eines Besuchs in Brasília um eine Umarmung des
damaligen Präsidenten Lula bemühte. Als Lula ihn endlich während eines Zwi-
schenstopps auf dem Flughafen von São Paulo kurz begrüßte, erging sich der
Deutsche in übertriebener Herzlichkeit, mehrmals umarmte er den Brasilianer.
Lula ließ es gutmütig über sich ergehen, obwohl Westerwelle eine Grundregel
missachtet hatte: Die Umarmung geht von Lula aus. Jeder bekommt so viele
Schulterklopfer, wie es seiner Position und seiner Beziehung zum Präsidenten
angemessen erscheint. Westerwelle hatte sich schlichtweg angebiedert.
Eine konnte mit der Umarmungsstrategie des brasilianischen Präsidenten
überhaupt nichts anfangen: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Man kann sich
schwerlich zwei gegensätzlichere Persönlichkeiten vorstellen als die kühle
Deutsche und den emotionalen Brasilianer. Merkel scheut vor Körperkontakt
zurück, Lula sucht ihn geradezu. Merkel zeigt selten persönliche Regungen, Lu-
la weint auch bei geringfügigen Anlässen. Merkel hetzte 2008 während ihres
bislang einzigen Staatsbesuchs in eineinhalb Tagen durch Brasília und São Pau-
lo, für sie war das ein Geschäftstermin. Lula hätte ihr gern mehr vom Land
gezeigt, ihr ein wenig Brasilien erklärt. Aber die deutsche Bundeskanzlerin
hat sich nie sonderlich für Brasilien interessiert. Das zeigt sich leider auch in
den deutsch-brasilianischen Beziehungen: Die vielbeschworene »strategische
Partnerschaft« ist nie über ein Lippenbekenntnis hinausgekommen. Berlin hat
seine Beziehungen zu dem größten lateinamerikanischen Land jahrelang ver-
nachlässigt, zum Nachteil der deutschen Wirtschaft: Lula pflegte ein hervorra-
gendes Verhältnis zu seinem französischen Amtskollegen Nicolas Sarkozy, das
schlug sich in zahlreichen fetten Aufträgen für französische Unternehmen nie-
der. Deutsche Firmen gingen leer aus. An Lula lag es nicht: Im Off klagte er oft
darüber, wie wenig Beachtung Deutschland Brasilien schenkte. Er hätte gerne
mehr Investitionen deutscher Firmen gesehen.
Bezeichnend für den Zustand der deutsch-brasilianischen Beziehungen war
der schäbige Empfang des brasilianischen Präsidenten auf den deutsch-brasi-
lianischen Wirtschaftstagen 2009 in Vitória, der Hauptstadt des Bundesstaats
Espírito Santo. Lula reiste eigens an, um eine Rede auf dem Forum zu halten,
Search WWH ::




Custom Search