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besitzer und Landlose, Unternehmer und Arbeiter, Multimillionäre und Habe-
nichtse, alle wurden von dem Präsidenten mit einer Umarmung empfangen. So
weichte er starre Positionen auf und zwang Gegner an den Verhandlungstisch.
Eine Lula-Begrüßung geht so: Der Präsident legt den Arm um seinen Besu-
cher und zieht ihn sanft an seine Brust. Seine Linke tätschelt den Hinterkopf,
mit der Rechten versetzt er ihm einen deftigen Klopfer auf den Rücken. Die
Gesten sind dosiert: drei oder vier »tapas« bei politischen Gegnern, fünf oder
sechs bei Parteigängern und Freunden. Einen Oppositionellen, der wochenlang
gegen die Regierung protestierte, knuffte Lula wie ein Vater, der einen rebelli-
schen Sohn tätschelt.
Wer im Präsidentenpalast auf eine Audienz wartete, wurde umarmt: der
Gouverneur, der die Reform der Sozialversicherung bemäkelte; die Putzfrau,
die Lula einen Bittbrief brachte; die Athleten, die zu den Panamerikanischen
Spielen fuhren. Angespannt waren die meisten, wenn sie gerufen wurden. Lä-
chelnd kamen sie aus dem Amtszimmer des Präsidenten zurück. »Eles lula-
ram«, sagten Lulas Berater: »Sie sind luliert.« Der Name des Staatschefs wurde
konjugiert wie ein Verb. Lular, das hieß so viel wie: dem Charisma des brasilia-
nischen Präsidenten verfallen.
Die Liste der Lulierten ist lang: Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schrö-
der gehört dazu, der mit Lula nachts im Hotelzimmer in Berlin mehrere Fla-
schen Wein köpfte, bis sie sich in den Armen lagen. Auch Britanniens Premier
Tony Blair, ideologisch eher ein Gegner, wurde Lula-Fan. Nicht einmal Frank-
reichs Präsident Jacques Chirac und dessen Nachfolger Nicolas Sarkozy wider-
standen seiner Umarmung.
Sogar der damalige US-Präsident George W. Bush erlag Lulas Charme. Beim
ersten Besuch in Washington war er noch distanziert, beim zweiten rückte der
Texaner schon auf Tuchfühlung an ihn heran. Spontan verzichteten die beiden
auf Dolmetscher und verständigten sich auf Spanisch. Allerdings entsprang die
Begeisterung für seinen brasilianischen Amtskollegen nicht nur der Chemie:
Bush war erleichtert, dass der einstige Bürgerschreck sich als konservativer Sta-
bilitätspolitiker entpuppte.
Ich holte mir meine präsidentiellen Klopfer auf den Rücken während eines
Gesprächs im April 2008 ab, als ich Lula gemeinsam mit meiner Kollegin He-
lene Zuber für den Spiegel interviewte. Während des Gesprächs saß ich neben
dem Präsidenten, er fasste mich immer wieder am Unterarm, rauchte Zigaril-
los wie ein Schlot und schwärmte von Helmut Schmidt: Der hatte ihn als Bun-
deskanzler empfangen, als in Brasilien noch die Militärs herrschten und Lula
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