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seines Widersachers hatte er keine Chance: Die neue Währung hatte den Brasi-
lianern wirtschaftliche Stabilität beschert. Cardoso pries sie erfolgreich als sein
Baby, das man nicht den wilden Sozialisten überlassen dürfe.
Es half dem ehemaligen Soziologieprofessor, dass er nicht als Kandidat der
Rechten wahrgenommen wurde, obwohl seine sozialdemokratische Partei
PSDB in vielen Bundesstaaten Allianzen mit konservativen Politikern eingegan-
gen war und selbst viele Rechte in ihren Reihen hatte. Es ist ein typisch brasilia-
nisches Phänomen, dass Parteinamen meist in die Irre führen: Niemand möch-
te als Rechter gelten, deshalb hängen sich auch alteingesessene Großgrundbe-
sitzer und Neoliberale gern ein sozialdemokratisches oder linkes Mäntelchen
um. Das Harmoniebedürfnis der Brasilianer wiegt schwerer als die realen Inter-
essensgegensätze. Schwarz und Weiß sind verpönt, alle geben sich als grau aus,
selbst wenn sie in Wirklichkeit reaktionäre Standpunkte vertreten.
Aus diesem Grund lässt sich das brasilianische Parteiensystem auch nicht
in die ideologischen Schubladen Europas pressen: Ein brasilianischer Sozialde-
mokrat ist unter Umständen »linker« und moderner als ein Vertreter der Ar-
beiterpartei PT. Lula und seine Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff sollten spä-
ter einen nationalistischeren Kurs verfolgen als Cardoso, vor allem Lula stand
den Militärs viel näher als der Ex-Marxist Cardoso. Zugleich gibt es aber in
der PSDB Politiker, die nach europäischen Maßstäben im politischen Spektrum
weit rechts zu verorten wären. Kommunistische Politiker wiederum haben im
Kabinett von Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff eine eher konservative Politik
verfolgt.
Cardosos PSDB dagegen, die eigentlich links von der PMDB anzusiedeln wä-
re, hat sich als wichtigste Oppositionspartei gegen die PT-Präsidenten Lula und
Dilma Rousseff profiliert. Sie hat ihre Hochburg in São Paulo und Minas Gerais.
Cardoso ging aus den Wahlen von 1994 als großer Sieger hervor. Er gewann
schon im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit und konnte sich auf die
größte parlamentarische Mehrheit der Nachkriegszeit stützen. Seine PSDB
stellte die Gouverneure der wichtigsten Bundesstaaten São Paulo, Rio de Janei-
ro und Minas Gerais. Umfragen zufolge vertrauten ihm 87 Prozent aller Brasi-
lianer.
Die Stimmung war so gehoben wie seit Jahren nicht: »Cardoso erhielt das
Weihnachtsgeschenk, das er sich gewünscht hatte: ein Brasilien vom Besten«,
zählte die Zeitschrift Veja auf: vierfacher Fußballweltmeister, zuletzt 1,8 Pro-
zent Inflation, Wachstum des Bruttosozialprodukts um 4,5 Prozent, allgemei-
ner Optimismus.
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