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Mit Cardoso kam, ein Jahrzehnt nach dem Ende der Diktatur, die Generation
ehemaliger Studentenführer und linker Dissidenten an die Macht. Ihre politi-
schen Erfahrungen hatten Cardoso und einige seiner wichtigsten Minister nicht
an den feudalistischen Erbhöfen im Landesinneren gesammelt, sondern im
Ausland, an Universitäten in Europa und den USA.
Cardoso berief die Architekten des »Plano Real« auf wichtige Regierungs-
posten, unter ihnen die späteren Zentralbankchefs Pedro Malan und Gustavo
Franco. Er brachte eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen auf den Weg,
um die wirtschaftliche Stabilität abzusichern. Das Gesetz über steuerliche
Verantwortung zwang Bürgermeister und Gouverneure erstmals zu einem ver-
antwortlichen Umgang mit den Staatsfinanzen: Sie mussten ihre Ausgaben dem
Rechnungshof zur Überprüfung vorlegen.
Zugleich bemühte sich Cardoso um gute Beziehungen zum Internationalen
Währungsfonds (IWF), den seine Vorgänger und Widersacher Lula als Herr-
schaftsinstrument des Imperialismus verteufelten.
Ironischerweise legte Cardoso die Grundlagen für den späteren Erfolg Lulas:
Er stabilisierte die Wirtschaft; viele Sozialprogramme der Regierung Lula wie
das erfolgreiche »Bolsa Família« wurzeln in Cardosos Regierung, auch wenn
Lula das immer wieder bestreitet. Cardosos Frau Ruth, deren Einfluss auf die
Regierungspolitik oft unterschätzt wurde, hatte einen entscheidenden Anteil
bei der Ausarbeitung der Sozialhilfe »Bolsa Escola«, dem Vorläufer von »Bolsa
Família«: Arme Mütter bekamen finanzielle Unterstützung, wenn sie nachwei-
sen konnten, dass sie ihre Kinder zur Schule schickten. Die Intellektuelle Ruth
hielt sich bei offiziellen Anlässen im Hintergrund, aber zuhause beriet und kri-
tisierte sie die Politik ihres Mannes.
Als ehemaliger Senator und Minister war Cardoso mit den Unzulänglichkei-
ten des politischen Systems vertraut. Er suchte daher frühzeitig Kontakte und
Unterstützung außerhalb der traditionellen Parteien. Nichtregierungsorganisa-
tionen (NGOs) blühten unter seiner Regierung auf, erstmals formierte sich in
Brasilien eine starke Zivilgesellschaft. In dieser Hinsicht hatte Cardoso weniger
Berührungsängste als später Lula oder Dilma Rousseff.
Außenpolitisch setzte Cardoso die diskrete Diplomatie Brasiliens fort. Brasi-
liens Außenpolitik beruhte traditionell auf dem Prinzip der Nichteinmischung
in die Angelegenheiten anderer Staaten, auf dem internationalen Parkett traten
die Brasilianer normalerweise leise auf. Cardoso pflegte gute Beziehungen zu
Kuba und den USA, mit seinem Amtskollegen Bill Clinton und dessen Frau Hil-
lary pflegten die Cardosos eine besondere Freundschaft, auch mit Helmut Kohl
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