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Ende des 16. Jahrhunderts waren die Vorkommen an Brasilholz weitgehend
erschöpft, ein neuer Rohstoff weckte jetzt das Interesse der Europäer: Zucker.
Der Nordosten, vor allem Pernambuco, erwies sich als ideales Anbaugebiet für
Zuckerrohr. Die portugiesischen Großgrundbesitzer ließen riesige Flächen Küs-
tenurwalds abholzen und mit Zuckerrohr bepflanzen. Sklaven schufteten auf
den Plantagen.
Fazendas, wie die Großfarmen heißen, prägen die Wirtschaftsund Sozial-
struktur Brasiliens immer noch. Nur die Produktpalette der Großbauern hat
sich im Laufe der Jahrhunderte vergrößert, sie variiert je nach Region und Kli-
mazone. Anbau und Ernte wurden außerdem weitgehend industrialisiert. Ne-
ben Zuckerrohr baut Brasiliens Agroindustrie heute auch Soja, Zitrusfrüchte
und Kaffee an, zudem ist das Land zu einem der größten Rindfleischproduzen-
ten der Welt aufgestiegen.
An den sozialen Verhältnissen auf dem Land hat sich seit der Kolonialzeit
indes wenig geändert. Großgrundbesitzer, sogenannte Coroneis, herrschen vor
allem im Norden und Nordosten immer noch wie Feudalherren, viele haben
beste Verbindungen in die Politik oder sind selbst Politiker. Zahlreiche Minis-
ter, Abgeordnete und Senatoren besitzen Farmen in ihren heimatlichen Bun-
desstaaten, sie legen ihr oftmals illegal erlangtes Vermögen zumeist in Land an.
Der Streit um Landbesitz, soziale Ungleichheit und das Elitenbewusstsein vie-
ler Herrschender wurzeln in der Feudalstruktur der Fazendawirtschaft.
Immer wieder entdecken Inspekteure des Arbeitsministeriums auf den Far-
men bekannter Politiker Landarbeiter, die unter sklavenähnlichen Bedingun-
gen schuften. Ihr Lohn reicht kaum fürs Existenzminimum, sie hausen in men-
schenunwürdigen Unterständen auf den Farmen.
Die Eigentümer werden meist mit eindrucksvollen Geldstrafen belegt. In den
seltensten Fällen werden diese jedoch bezahlt: Die Farmer verfügen über eine
starke Lobby im Kongress, viele Politiker genießen parlamentarische Immuni-
tät und sind somit praktisch unantastbar. Vor allem ärmere Bundesstaaten im
Nordosten wie Maranhão oder Alagoas werden immer noch von Familienclans
beherrscht, deren Macht zumeist auf Landbesitz beruht. Sie dominieren Jus-
tiz, Medien, lokale Parlamente und oft auch die Polizei. Diese Feudalstrukturen
sind mitverantwortlich für die grassierende Straflosigkeit: Wer Geld und Ein-
fluss hat, findet immer ein Schlupfloch im brasilianischen Gesetzesdschungel.
Brasiliens Gesetze sehen Erleichterungen für Häftlinge vor, die studiert ha-
ben; wer sich einen guten Anwalt leisten kann, hat eine gute Chance, seine Stra-
fe zu reduzieren. Die Legislative hat ein unüberschaubares Instrumentarium an
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