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schmuck vom Rücken, irgendwie winde ich mich aus dem Totenkopfmantel,
der Reifenrock fliegt in die Ecke, endlich frei, in Bermudas, T-Shirt und pink-
farbenen Stiefeln lehne ich am Gitter, erschöpft, aber glücklich.
Für meine Frau ist schon vor dem Rosenmontag alles vorbei. Wenn die
großen Sambaschulen durchs Sambodrom defilieren, wenn die größte Fete der
Welt in einem Festival der Musik und Farben explodiert, wenn die ganze Stadt
im Sambafieber vibriert - dann ist für meine Frau der Karneval gelaufen.
Sie ist dann bereits etwa 50 Blocos gefolgt, wie die Umzüge des Straßenkar-
nevals heißen. Sie hat die Baterías, die Trommlergruppen von mehreren Sam-
baschulen, begleitet. Und sie hat mehrere Dutzend neue T-Shirts im Schrank.
Mit dem Verkauf von T-Shirts finanzieren die Blocos den Straßenkarneval.
Jedes Jahr entwerfen sie ein Hemd mit dem neuen Thema ihres Umzugs.
Ein paar Tage vor dem Umzug im Sambodrom waren wir bei »Imprensa que
eu gamo«, auf Deutsch etwa »Presse mich, bis ich stöhne«. So heißt der Bloco
der Journalisten in Rio, der Name ist wie die meisten Karnevalstexte doppel-
deutig. Meine Frau war als Braut gegangen, weil ich mitgekommen bin. Wenn
ich nicht dabei bin, geht sie auch schon mal als lustige Witwe mit Peitsche und
Stiefeletten.
Jetzt stehen die Sambatreter in der Ecke, ein Hauch von Mandelöl liegt
über unserem Schlafzimmer - das reiben sich die erfahrenen Sambatänzerin-
nen zwischen die Beine, damit die Haut beim Tanzen nicht wund wird. Außer-
dem gehören noch Lippenstift, hochhackige Sandalen und ein Bierkühler zur
Karnevals-Grundausstattung der echten Carioca. Bei vielen auch ein Präserva-
tiv.
Zumbizum dröhnt es über die Bucht von Botafogo, es ist zehn Uhr morgens.
Im Stadtzentrum schieben sich gerade eineinhalb Millionen Menschen beim
Umzug von »Bola Preta« durch die Straßen, dem größten und ältesten »Bloco«
von Rio. »Simpatía é quase Amor« (Sympathie ist fast schon Liebe), auch so ein
Mammut-Bloco, wird am Nachmittag mit 800 000 Menschen Ipanema lahm-
legen, und im Jardim Botánico läuft sich gerade der »Suvaco de Cristo« warm,
die »Achselhöhle des Erlösers«.
Meine Frau blinzelt in die Morgensonne, schüttelt das Konfetti von gestern
abend aus dem Haar und wälzt sich auf die andere Seite: »Das ist jetzt was für
Touristen«, sagt sie.
Meine Frau ist nicht nur Carioca, wie die Einwohner von Rio heißen, sondern
Carioca da Gema, wörtlich übersetzt heißt das »Eigelb-Carioca«. Das ist so etwa
die höchste Auszeichnung, die man in Rio bekommen kann. Sie besagt, dass
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