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man in der »Cidade Maravilhosa«, der »wunderbaren Stadt«, geboren wurde.
Das wiederum bedeutet, dass man bestimmte Dinge mit der Muttermilch auf-
gesogen hat: Eigelb-Cariocas zischeln das S wie die Portugiesen, halten die Qua-
dratköpfe aus São Paulo für Wesen von einem anderen Stern und applaudieren
dem Sonnenuntergang am Strand von Ipanema. Und natürlich sind sie Fans ei-
nes Fußballvereins und einer Sambaschule.
Meine Frau ist Mangueira, ich bin Salgueiro. Das sagt eigentlich schon alles
über unsere Beziehung. Mangueira ist traditionell die Sambaschule der Boheme
von Rio. Chico Buarque ist Mangueira, die bekannte Sambasängerin Beth Car-
valho ist Mangueira. Cartola, einer der berühmtesten Sambakomponisten, war
Mangueira, er hat in der gleichnamigen Favela gelebt.
Salgueiro ist dagegen die Schule der Fußballspieler und Neureichen. Sie wird
von der Glücksspielmafia kontrolliert und hat weitaus mehr Geld für die Wagen
und Kostüme zur Verfügung. Salgueiro ist das Gegenmodell zu Mangueira.
Aber ich habe einen Trumpf, den ich meiner Frau immer unter die Nase rüh-
re, wenn sie mal wieder über Salgueiro lästert: Meine Schule hat den schöns-
ten Samba der letzten 20 Jahre komponiert. »Explode Coração« heißt er, »Das
Herz explodiert«. Ich bin damals, 1993, im Sambodrom mitgelaufen, es war
mein erster Karneval in Rio, ein Rausch, eine Katharsis. Noch immer singen sie
den Samba. Damals ist mein Herz explodiert, seither bin ich Salgueiro. Meine
Frau hat mir das nie verziehen, aber unsere Ehe ist daran nicht gescheitert.
Krach gibt es nur, wenn ich einzuwenden wage, dass die Cariocas keinen Al-
leinanspruch auf den Samba haben. Dass es auch in Bahia oder sogar in São
Paulo Karneval gibt. Ein Vortrag über die wahre Natur des Sambas und des Kar-
nevals ist garantiert.
Der Samba stamme von den Morros, den Favela-Hügeln, er sei Rios Haus-
musik, sagt sie. Er stelle die ureigenste Ausdrucksform der Cariocas dar; er
sei der Rhythmus, der diese widersprüchliche, chaotische Stadt zusammenhält.
Und das größte Missverständnis überhaupt sei, dass er nur als Soundtrack für
die närrischen Tage im Februar tauge.
Für meine Frau beginnt die Sambasaison im April oder Mai, wenn der süd-
amerikanische Winter naht und der Karneval fern ist. In der heruntergekom-
menen Hafengegend von Rio tat sie sich vor einigen Jahren mit einigen anderen
sambabegeisterten Cariocas zusammen und gründete die »Escravos de Mauá«,
heute einer der bekanntesten Blocos von Rio.
Einmal im Monat trafen sie sich auf einem kleinen Platz nahe der Praça
Maua und sangen alte Sambas. Sie saßen auf Plastikstühlen an Blechtischen,
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