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Grund genug hätten sie ja: Erst mussten sie ihr Thema von »Richard Wa-
gner« in »Verzaubertes Deutschland« ändern, weil Wagner zu nah an den Nazis
schien, dann machten sich die erhofften Sponsoren aus der Deutschen Wirt-
schaft rar, schließlich drohte das Projekt Deutschlandthema in der deutschen
Kulturbürokratie zu versanden. Der Generalkonsul in Rio schaffte es schließ-
lich, drei deutsche Firmen ins Boot zu holen, aber das Geld reichte nicht,
die Schule musste abspecken. Ausgerechnet ein französisches Unternehmen
sprang beim Karneval 2013 als größter Sponsor ein.
Aber irgendwie hat dann doch noch alles geklappt. Wir laufen als dritte Schu-
le, zwei Stunden dauert es noch, das Thermometer am Straßenrand zeigt um
21 Uhr immer noch 30 Grad, die Bierverkäufer frohlocken. Und irgendwie ha-
ben sie es jetzt auch geschafft, mein Reifenkorsett unter dem Teufelsmantel ver-
schwinden zu lassen.
Touristen können bei den meisten großen Sambaschulen mitlaufen, man
muss nur das Kostüm kaufen. Die Organisatoren positionieren die Gringos stra-
tegisch so zwischen Gruppen von Brasilianern, dass es nicht auffällt, wenn sie
den Samba nicht auswendig können oder mehr stolpern als tanzen. Bei »Uni-
dos da Tijuca« machen rund 4000 Leute mit, da lassen sich locker ein paar Dut-
zend Gringos verstecken. Glücklicherweise war der Unidos-Samba so eingän-
gig, dass auch Ausländer schnell den Refrain beherrschten. Er erzählt die Reise
des Donnergotts Thor, der zur Erde fährt und einen Streifzug durch die deut-
sche Geistes- und Erfindergeschichte unternimmt. Die Jahre zwischen 1933
und 1945 spart er freundlicherweise aus.
Vor uns tanzen Elfen und Drachen, hinter uns schiebt sich der »Fliegende
Holländer« als weiß leuchtender Karnevalswagen Richtung Sambodrom. Ein
bisschen Wagner hat Paulo Barros, der Regisseur dieser Karnevalsoper, doch
noch belassen, die alten Damen der Sambaschule gehen als Walküren. Vor uns
heben Kräne die Tänzerinnen auf die Karnevalswagen, die Truppe hinter uns
stimmt den Samba an, gleich geht es los. Schnell noch ein letztes Bier, Straßen-
händler mit Kühlboxen wuseln zwischen den Teufeln. Betrunkene werden aus-
sortiert, sie dürfen nicht defilieren, aber ein bisschen Mut antrinken ist erlaubt.
Nur: Wie wird man die Flüssigkeit wieder los? Wenige Meter vor dem Sam-
bodrom gibt es keine Chemieklos mehr, Aus- und Anziehen dauert bei diesen
Klamotten mindestens eine halbe Stunde. Mein Teufelsnachbar, dpa-Korre-
spondent Helmut Reuther, hat sich in weiser Voraussicht eine Pinkelflasche ge-
bastelt, die er irgendwo unter dem Reifenrock versteckt hat.
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