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Tatsächlich ist die Familie die einzige Institution, der die Brasilianer unein-
geschränkt vertrauen. Sie gilt als sicherer Hafen vor den Unbilden des Staats
und der Regierung. Sie genießt deshalb in der Sicht des Bürgers absoluten Vor-
rang vor Gesetzen oder staatlichen Institutionen. Wer als Europäer eine Bra-
silianerin heiratet, wird automatisch Mitglied in einem mächtigen Clan - mit
allen Vor- und Nachteilen, die dazu gehören. Der deutsche Individualismus ist
den meisten Brasilianern fremd. Nur Europäer kommen auf die Idee, im Urlaub
möglichst einsame Strände zu suchen - Brasilianer freuen sich, wenn sie ihre
Clique oder ihre Familie treffen.
Kulturschock Karneval - als Hamburger im Sambafieber
Die Bartfusseln made in China kleben im Mund, der Helm mit den Hörnern
rutscht, die pinkfarbenen Kunstlederschuhe sind zwei Nummern zu klein, die
Reißverschlüsse an den Seiten haben sich gerade verabschiedet. Helfer zerren
an dem Reifenkorsett, das meinen Kostümmantel in Form halten soll, es guckt
unten raus, so lassen sie mich nicht ins Sambodrom, die Karnevalsarena von
Rio, das gibt Punktabzug.
Also alles noch mal runter: Jemand hebt den riesigen Federkranz samt Kra-
gen aus der Verankerung und setzt ihn auf dem Straßenpflaster ab. Vorsicht mit
den scharfen Stahlhaken, die sich in den Nacken bohren, eigentlich bräuchte
man für dieses Kostüm einen Waffenschein. Ein Totenkopf aus Plastik löst sich
vom Mantel, rasch ist ein Helfer mit einem Klebespray zur Stelle, bei meinem
Kollegen zur Linken hat er gerade ein Horn wieder an den Helm gepappt, als
Einhorn macht Mephisto keine gute Figur.
Ich bin schon oft im Sambodrom defiliert, aber nie war es so anstrengend wie
im Karneval 2013. Defilieren hat was von Masochismus, jedenfalls wenn man
so ein Monsterkostüm mit sich herumschleppt. Zehn Kilo Schaumstoff, Synthe-
tikpelz und Federschmuck verbargen sich in den schwarzen Plastiksäcken, die
mir ein Konsulatsmitarbeiter zwei Tage vor dem großen Umzug in die Hand ge-
drückt hatte.
Ist das womöglich die Rache der Sambaschule »Unidos da Tijuca« dafür,
dass sich die Deutschen mit ihrem Auftritt bei der »größten Fete der Welt« so
schwergetan haben? Wollen sie uns arme Teufel vor Zehntausenden Zuschau-
ern den Hitzetod sterben lassen?
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