Travel Reference
In-Depth Information
schwemmt«, erinnert er sich. »Ich dachte: Wenn es einen Gott gibt, dann holt
er mich hier heraus.«
Eine Woche später sprach ihn eine Frau an, die für die evangelische »Assem-
bleia de Deus« arbeitet, sie brachte ihn in Malafaias Hilfszentrum. Am ersten
Abend türmte er über die Mauer, die Schwestern liefen hinterher und baten ihn:
Bleib wenigstens eine Woche. Inzwischen ist er seit 13 Jahren trocken, er hat
Jura studiert und arbeitet als Rechtsbeistand für die Kirche. Zu seinen Söhnen
hat er wieder Kontakt, sie besuchen ihn oft. Er ließ sich taufen und ist zu den
Evangelikalen konvertiert: »Die Bibel hat mich kuriert.«
In der Favela Vigario Geral in Rio gibt es 14 Pfingstgemeinden, aber nur eine
katholische Kirche. In den überfüllten Gefängnissen, die zumeist in der Hand
der Drogenmafia sind, konvertieren evangelische Prediger Tausende Verbre-
cher zu »neugeborenen Christen«. Zahlreiche Gangsterbosse und Auftragskiller
sind zu Predigern geworden. Pfingstkirchen und Kokainmafia leben in Rios Fa-
velas oft in Symbiose.
Freitagabend in São João de Meriti, einem armen Vorort von Rio. In der
Pfingstkirche »Assembleia de Deus dos Ultimos Dias« haben sich einige hun-
dert Gläubige eingefunden, darunter Drogenbosse, Mörder und Räuber. Die
Männer tragen Anzüge und Krawatten, die Frauen Röcke. Ihnen hat Pastor
Marcos Pereira, der Chef der Kirche, das Tragen von Hosen im Gottesdienst
verboten.
Pereira, ein korpulenter Mittvierziger mit stechenden Augen, ist der bekann-
teste und umstrittenste Prediger von Rio. In den Favelas ist er eine Legende:
»Ich habe schon Hunderte Jungen vor Folter und Tod gerettet«, brüstet er sich.
Anwohner rufen ihn oft, um Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Drogen-
händlerbanden zu schlichten. Die Gangster gehorchen ohne zu murren, wenn
der Pastor kommt.
Pereiras Gottesdienste sind wahre Spektakel. Er macht Wunderheilungen
und Teufelsaustreibungen, reihenweise fallen die Gläubigen in Trance. Der Pas-
tor blickt seinen Schäfchen kurz in die Augen, drückt seine Hand auf die Stirn,
schon sinken die »Besessenen« zu Boden. »Weiche, Dämon!«, schreit Pereira
und springt wie ein Derwisch um die zuckenden, stöhnenden Menschen. Mit ei-
nem Fingerschnippen weckt er sie nach einigen Minuten aus der Kurzhypnose
auf. Auch Fremden werden die Knie weich, wenn Pereira sie anblickt, er besitzt
eine hypnotische Begabung. Der Taxifahrer, der mich in seine Kirche brachte,
sank zu Boden, nachdem Pereira ihn sanft an der Stirn berührt hatte.
Search WWH ::




Custom Search