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sagt Nilcilene. 42 Kilometer von der nächsten Straße entfernt hausen sie ohne
Strom, ohne die versprochene Schule, ohne Gesundheitsposten und ohne Poli-
zeischutz im Urwald.
Holzhändler und Rinderzüchter machen sich die Abwesenheit des Staates
zunutze. Sie teilen die Waldgebiete in Parzellen auf, fälschen Eintragungen ins
Grundbuch und vertreiben die Kleinbauern mit Waffengewalt. Dutzende Fami-
lien sind vor den Pistoleros geflüchtet, ihre Äcker haben sie aufgegeben oder an
die Großgrundbesitzer verkauft. »Wenn Nilcilene zurückkehrt, wird sie umge-
bracht«, fürchtet ihr Ehemann Raimundo Alexandrino de Oliveira.
Von der Regierung ist keine Hilfe zu erwarten: Präsidentin Rousseff hat die
Umweltbehörde weitgehend entmachtet, ihre Aufgaben wurden lokalen Behör-
den übertragen, die oft korrupt sind. Der Grund: Die Regierung will die Ge-
nehmigungsverfahren für umstrittene Großprojekte beschleunigen, den Berg-
bau in Indianerreservaten erlauben, den Bau von Straßen vorantreiben. Die Re-
gulierung des Landbesitzes, das größte Problem im Amazonasgebiet, geht nur
schleppend voran; illegale Farmen werden im Internet gehandelt.
Die Vernichtung des Urwalds ist billig und lukrativ, und sie bleibt zumeist
straflos. Die Zerstörung folgt dem immer gleichen Zyklus: Erst schlagen Holz-
fäller die wertvollsten Bäume, dann reißen sie die restliche Vegetation mit Trak-
toren nieder oder fackeln sie ab; oft versprühen sie auch Pestizide. Sobald der
Urwald zerstört ist, säen sie Gras aus, bald darauf trotten die ersten Rinder zwi-
schen den Baumstümpfen.
Wer sich den Ranchern in den Weg stellt, riskiert sein Leben. Jedes Jahr
werden Dutzende Menschen wegen Landstreitigkeiten umgebracht. Die meis-
ten Opfer sind Indios, Kleinbauern, Umweltaktivisten und Geistliche, die sich
um die Verfolgten kümmern. Greenpeace-Mitarbeiter sind im Amazonasgebiet
nur in gepanzerten Autos unterwegs.
Nilcilene empfing mich in einem Haus über tausend Kilometer von ihrer
Heimat entfernt, sie steht unter Zeugenschutz und muss ihren Aufenthaltsort
geheim halten. Sie nimmt Beruhigungsmittel, beim Erzählen steigen ihr Tränen
der Wut in die Augen. Auf ihrer Digitalkamera zeigt sie Fotos von den Überres-
ten ihres Hauses. »Die Pistoleros der Holzhändler haben mein Grundstück nie-
dergebrannt.« Zuvor hatten sie die zierliche Frau bedroht und verprügelt.
Im Mai 2011 war sie aus der Region geflüchtet, nachdem ein Pistolero ihr
aufgelauert hatte. Die Regierung gewährte ihr eine bewaffnete Eskorte der
Força Nacional, einer Sondereingreiftruppe aus Militär und Polizei. Im Novem-
ber kehrte sie in Begleitung von neun Soldaten zurück, sie trug Tag und Nacht
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