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Dick Baldwin war sein ganzes Berufsleben lang Drucker bei einer Tageszeitung in John-
stown. Er und seine italienischstämmige Frau gehören noch einer Generation an, die
relativ unbeschadet von wirtschaftlichen Krisen an der Verwirklichung ihres amerikan-
ischen Traums arbeiten konnten. Sie haben die Werte von Freiheit, Gerechtigkeit und
Solidarität verinnerlicht, müssen jedoch heute desillusioniert beobachten, dass die Er-
rungenschaften ihres Landes den Conemaugh runtergehen, wie damals beim Johnstown
Flood Disaster. Die Geschichte der großen Flutkatastrophe von 1889 kennt in den USA
jedes Kind. Nach starken Wolkenbrüchen brach damals der knapp 23 Kilometer von John-
stown entfernte Staudamm. Die anschließende Flutwelle, die sich durch das Conemaugh-
Tal ergoss, zerstörte die Stadt und riss 2 200 Menschen in den Tod.
Bei der Gedenkstätte Flood National Memorial können wir auf die Stelle schauen, wo
der Damm brach. Der Besuch des Flutopfer-Friedhofs ist uns genauso wichtig wie der
anschließende Besuch im Flood Museum. Dort wird uns ein eindrucksvoller und oscar-
prämierter Dokumentarfilm über die Katastrophe gezeigt, der die Schrecken des damaligen
Ereignisses realistisch vermittelt.
Eine knappe Autostunde von Johnstown entfernt liegt Shanksville. Das ist der Ort, bei
dem am 11. September 2001 die von Terroristen entführte Boeing 757 der United Airlines
abstürzte, nachdem die Passagiere das Cockpit mit den legendären Worten „Let's roll“
gestürmt hatten.
Jo-Ann und Dick fahren uns zu der schlichten, aber sehr ergreifenden Gedenkstätte, die
500 Meter von der Absturzstelle entfernt liegt. Deren Bereich ist gesperrt, weil dort immer
noch Menschenknochen und Flugzeugteile herumliegen sollen.
In Shanksville manifestiert sich jenes amerikanische Selbstwertgefühl von nationalem
Stolz und Pathos, das der Ohnmacht und Hilflosigkeit, mit der Nine-Eleven ertragen wer-
den musste, entgegengesetzt wird.
Wied war weder in Johnstown noch in Shanksville, sein Weg nach Pittsburgh führte nörd-
lich an diesen beiden Orten vorbei. Seit Wieds Zeiten hat es nicht nur zahlreiche Naturkata-
strophen gegeben, die Landschaften verändert haben, sondern in seiner Ära wurden auch
die hegemonialen und kolonialpolitischen Ideen entwickelt, aus deren Saat der heutige in-
ternationale Terrorismus erwachsen ist.
Jo-Ann und Dick Baldwin bringen uns nach zwei Tagen zurück nach Ebensburg. Es ist
ihnen ein selbstloses Vergnügen, uns Europäern ihre Heimat näher gebracht zu haben. Die
zwei Senioren aus dem Cambria County, Pennsylvania, haben sich so rührend, voller Herz-
lichkeit und Gastfreundschaft, um uns gekümmert, dass beim Abschied so manche Träne
fließt.
Am nächsten Tag warten wir am Busterminal, wieder hat der Greyhound über eine halbe
Stunde Verspätung. Der Busfahrer ähnelt mit seiner schwarzen Betonfrisur und seinem
maskenhaften Gesichtsausdruck einer Comic-Figur. Mit uns reisen etwa fünfzehn Fahr-
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