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babylonische Weiden von kolossalem Wuchse. Die grossen dicken Weinranken hatten jetzt
schon gelbes Laub, wogegen die ziemlich kleinen dunkel blauen Trauben nett abstachen.
Wied beklagte den schlechten Zustand der Straße, fand aber durch das langsame Fortkom-
men genug Zeit, die Vielfalt des Mischwaldes zu beschreiben und die Blumen am Straßen-
rand zu würdigen: die violette Aster, die schöne blaue Lobelia syphilitica und die kräftigen
Robinien.
Bei unserem Reisetempo können wir keine Blumen erkennen, dafür viele Schilder. Lewis-
town, State College, Reedsville, Laurel Creek, Tyrone, Altoona. Route 322, General Potter
Highway, Interstate 99, Private Property. Wir vertrauen auf Gott - und auf die Busfahrerin,
die sich mit dem Greyhound die letzten Kilometer vor unserem Ziel einen steilen Hang
hochquält. Draußen liegt die Sonne bereits tief in den Taleinschnitten. Die Schatten werden
länger, als wir den Stadtrand von Ebensburg erreichen. Wir sind froh, uns von den dicken
Pullovern befreien zu können, die wir wegen der eisigen Temperaturen im klimatisierten
Bus übergezogen hatten. With God, all things are possible!
Ebensburg ist der Hauptort von Cambria-County, ein kleiner aus Holzgebäuden zusammen
gesetzter Ort, der nicht viel mehr als eine breite, ungepflasterte Straße und ein Rathaus
sowie eine ziemlich ansehnliche Kirche besitzt.
Durch die heutige High Street fließt der immense Durchgangsverkehr nach Pittsburgh und
gibt der Stadt einen Hauch von Leben. War für Wied die auffällige Kirche des kleinen Ortes
noch erwähnenswert, so ist es für uns das Staatsgefängnis Cambria County Jail, dessen ge-
waltige Ausmaße und düsteres Aussehen etwas Bedrohliches ausstrahlt, obwohl es heute
nur noch als Museum dient. In der Public Library werde ich wieder mit der Welt des Inter-
nets verbunden und kann den täglichen Reisebericht in meinen Blog stellen. Ein darauffol-
gender Spaziergang führt bezeichnenderweise am Ghost Town Trail entlang ins Tal und am
War Memorial Baseball Field vorbei zurück zu unserer Unterkunft, dem Noon Collins Inn.
Als man uns im Greyhound-Ticketbüro fragt, ob uns Ebensburg gefällt, geben wir zu, nicht
unglücklich zu sein, weiterreisen zu dürfen. Das zustimmende Gelächter der Anwesenden
zeugt immerhin von einer gehörigen Portion Humor.
Das Schönste an dieser Stadt ist der Umstand, dass wir am nächsten Tag von Jo-Ann (75)
und Dick Baldwin (78), einem Bruder von Kay Smith, abgeholt werden. Sie haben uns
für zwei Tage nach Johnstown, 25 Meilen von Ebensburg entfernt, eingeladen. Johnstown
liegt am Conemaugh River, der sich durch eine wunderschöne bewaldete Hügellandschaft
windet. Aus der Ferne betrachtet sieht die Stadt unten im Flusstal wie ein Ferienort aus,
doch dann erkennen wir in den Straßen der City die verlassenen Fabrikanlagen der Kohle-,
Eisenerz- und Stahlwerke und spüren nahezu die bedrückende Stimmung, die dort seit dem
Niedergang der Montanindustrie herrscht.
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