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wird - der Öcce (Ötsch) -, der sich im Minutentakt in »Öcsi« und
»Öcsike« wandelt, samt Duzen und Küssen - wie bei den Frauen.
Wer den Ehrgeiz hat, die ungarische Sprache zu erlernen - die zu
Unrecht als eine der schwierigsten der Welt bezeichnet wird, aber
doch ihre Tücken hat -, der steht nicht nur vor der Herausfor-
derung dieser Hölichkeitshierarchien, sondern auch vor dem zu-
sätzlichen Problem, die richtige Anrede zu wählen. Vorausgeschickt
werden muss, dass das Ungarische kein Geschlecht kennt. Literari-
schen Übersetzern bereitet das mitunter Schweißausbrüche, denn
den Autoren von Dialogen macht es nicht selten Vergnügen, den
ungarischen Leser im Unklaren zu lassen, wer nun gerade was sagt,
er, sie oder es. Während also »das Unbestimmte«, so der Schriftstel-
ler Péter Nádas, das ungarische Idiom prägt, sind die sprachlichen
Hierarchien des Umgangs miteinander mehr als eindeutig: Eine
Marktfrau wird mit »Maga« angesprochen, dem »Sie« der unteren
Klassen. Eine höhergestellte Person hingegen verdient ein »Ön«.
Jahrzehnte sozialistischer Herrschaft haben diese Form des Klassen-
kampfes eher verstärkt, aus Widerstand gegenüber der Gleichma-
cherei, dem Schleifen des aristokratischen Ypsilons am Namensen-
de zum Beispiel, das vorübergehend zum proletarischen »i« werden
musste. Er sei in der Schule gemobbt worden, weil seine Mutter
kleingehackten Dill unter den Wurstaufstrich seiner Brote misch-
te, erzählt Péter Esterházy in seiner Familiengeschichte Harmonia
Caelestis . Solcher Dekadenz wollte man Einhalt gebieten, doch an
den Feinheiten der gegenseitigen Ansprache konnte das nicht viel
verändern.
»Mit Breschnjew ing die Küsserei erst richtig an«
Wer nun glaubt, dem Ideal der Freien und Gleichen dadurch Rech-
nung tragen zu wollen, dass er alle über einen Kamm schert, der
tritt ins nächste Fettnäpfchen: Den Typus des »Ön« mit »Maga« zu
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