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adressieren, spricht zumindest von Unkenntnis, um nicht zu sagen,
Ungehobeltsein. Den Typus des »Maga« mit »Ön« anzusprechen,
ist allerdings noch viel schlimmer, denn das wird als mokante Über-
heblichkeit interpretiert, als wolle man sich lustig machen über die
Stellung des anderen. Rund um das »Maga« gibt es außerdem - was
Frauen und ältere Menschen jedweden Geschlechts angeht - noch
eine sprachliche Rafinesse im Umgang: Um die Härte der tenden-
ziell herablassenden Anrede abzumildern, aber auch, um den sozia-
len Abstand zu betonen, wird ein Hilfsverb eingeführt. Man bittet
dann auf dem Markt nicht: »Geben Sie mir ein Pfund Karotten«,
sondern verwendet das leicht gestelzte Wort »tetszik«: »Beliebe Sie
bitte, mir ein Pfund Dasunddas zu reichen.« Das zumindest kann
sich jeder Ausländer merken: Wo dieses Hilfsverb im Spiel ist, wird
deinitiv nicht geküsst. Ausnahmsweise.
In diese difizilen Hölichkeitshierarchien brach nun mit der russi-
schen Besetzung nach dem verlorenen Krieg der sozialistische Bru-
derkuss ein, ein Ritual, das angeblich auf die Kirche zurückgeht. In
der russisch-orthodoxen Ostermesse nämlich, so eine der Erklärun-
gen, erheben sich zu einem bestimmten Zeitpunkt die Gläubigen
zum Ostergruß. Sie bestätigen einander, dass Christus auferstan-
den sei und umarmen und küssen ihre Nachbarn. Da die Bolsche-
wiki der Oktoberrevolution in der Kirche eher ihren Feind sahen
und zur Christenverfolgung aufriefen, darf dieser These misstraut
werden. Sie taugt höchstens dazu, die unterbewussten Motive des
sozialistischen Kusses zu erklären. Auch die Begeisterung über die
internationale Solidarität und die legendäre russische Herzlichkeit,
die manchmal als Motive herangezogen werden, reichen sicher
nicht aus, ein Ritual zu legitimieren, das ein eisernes Band der Un-
terdrückung besiegeln sollte.
Während Stalin mit seinem sicheren Gefühl für Propaganda vor-
wiegend Kinder herzte und Chruschtschow sich am liebsten küs-
sen ließ, vor allem, wenn es attraktive kubanische Aktivistinnen
