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Mittelalter die Nebenbedeutung »sexueller Verkehr«. Der einzige
Ausweg scheint im Schweigen und der Askese zu liegen. Der christ-
liche Denker Ambrosius feiert deshalb in seinen Schriften das mön-
chische Schweigen. Das einzig legitime Gespräch inde zwischen
Mensch und Gott oder stellvertretend im Gottesdienst statt, be-
hauptet er. (Und schreibt seine Gedanken dennoch in einem Buch
auf.)
Der Auftrag zur Nächstenliebe und die Angst vor dem Nächsten
führen zwangsläuig zu dem angedeuteten Widerspruch: Einerseits
bewahrt einen die Unterhaltung vor der Einsamkeit, andererseits
ist man auch in der Unterhaltung immer auf sich gestellt. Erst in
der Renaissance wird dieser aufgelöst. Denn mit der Neuzeit be-
ginnt die »Verhölichung der Krieger«, so der Kulturgeschichtler
Jan Mukarovsky. Je mehr an den Höfen geredet wird und die Kunst
der Schmeichelei Karrieren ermöglicht und beendet, desto mehr
muss man die Konversationsfähigkeit trainieren und perfektionie-
ren, wie zur Ritterzeit den Umgang mit der Lanze. Duelle werden
nicht mehr zwangsläuig mit Waffen ausgefochten. Die »ars conver-
sationis« ist eine kulturelle Errungenschaft, die nicht von ungefähr
in Frankreich zu Zeiten des Absolutismus verfeinert wurde: Die
ersten Benimmbücher erscheinen und zementieren die Etikette.
Diese regelt nicht nur die Abhängigkeit der Hofmenschen unterei-
nander, sondern auch das Verhältnis zu den anderen Ständen und
- mit den Jahrzehnten immer wichtiger - dem Bürgertum. Parallel
eignen sich diese Bürger die Regeln des guten Benehmens an, um
dem Adel näherzukommen.
Bald kristallisieren sich zwei grundsätzlich verschiedene Gesprächs-
situationen heraus. Mit der Trennung von öffentlichem und pri-
vatem Leben gewinnen sie rasch an Kontur: Die Unterhaltung bei
Hof, der Inbegriff des Gesprächs im öffentlichen Raum, ist offen
und ungeschützt. Der Sprecher ist von allen Seiten bedroht, muss
die eigene Rede schützen und die Rede des anderen auf ihre ge-
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