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Mit ihrer Meinung, dass Geist und Geschmack eigentlich nur in
der Hauptstadt anzutreffen seien, hat sich Madame de Staël im
restlichen Frankreich sicherlich keine Freunde gemacht. Schließlich
war Paris schon immer der Sitz der Macht. Und die wird überall zu-
gleich bewundert wie gehasst. Alles orientierte sich an dieser Stadt:
die Mode, der Geschmack - und die Umgangsformen.
Zumindest zur Zeit des Absolutismus war das Geschnatter ganz auf
das Geschehen rund um Versailles konzentriert. Bis auf die wenigen
Jahre zwischen der Revolution von 1789 und der Wiedererrichtung
der Monarchie unter Napoleon war das weitläuige Schloss der Na-
bel der französischen Welt. Hier wurden die Benimmregeln ent-
wickelt und verfeinert, die nicht nur in der Provinz, sondern bald
schon auch an Residenzen in ganz Europa den Maßstab abgaben.
Erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts haben sich weitere kleine
Höfe um den großen herum etabliert und so den Sieg des Bürger-
tums eingeläutet: die Salons. Diese wurden, anders als der Staat,
nicht von Männern, sondern von Frauen regiert. Mit beträchtli-
chem intriganten Aufwand scharten sie eine sorgsam zusammen-
gestellte Gruppe aus anderen vornehmen Damen (oftmals Salon-
Konkurrentinnen), erfolgreichen Industriellen und - ganz wichtig
- Künstlern um sich. Argwöhnisch wurde jeder andere Salon be-
äugt. Und auch hier wurde hauptsächlich eines: geplaudert.
Zur besseren Orientierung gehörte zu jedem Salon ein Jour ixe.
An einem bestimmten Wochentag hatte man sich zum Tee einzu-
inden, wollte man nicht durch mehrmalige Abwesenheit Gefahr
laufen, die Gunst der Gastgeberin zu verlieren. Da die Woche
jedoch nur sieben Tage hat, es aber jeden Tag unzählige solcher
Verplichtungen gab, musste man schon ein ausgeklügeltes Be-
suchssystem entwickeln, um allen Anforderungen gerecht zu wer-
den. Auch Unterhaltung bedeutet Arbeit, vor allem, wenn sie der
Lebensmittelpunkt ist. Eine Möglichkeit, zumindest seinen guten
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