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heute sehen ihr Land in einem lange anhaltenden Sinklug begrif-
fen. Das Jammern darüber sei ein uraltes Phänomen, meinte in
einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung unlängst auch der
französisch-deutsche Publizist Alfred Grosser. »Der Beweis, dass ich
Franzose bin«, sagt er mit spöttischem Unterton, »ist, dass ich mich
überschätze.«
Von den verlorenen Zeiten einer Grande Nation zehrt der Mythos
von Paris bis heute, kein Reiseführer kommt ohne seine Beschwö-
rung aus. Und von deren Glanz nährt sich auch die lässige Überheb-
lichkeit der Pariser, den Rest des Landes zur langweiligen Provinz zu
degradieren. Sie tun gerne so, als gäbe es außerhalb der Stadtgrenzen
kein Leben. Aber niemand sollte sich dazu verleiten lassen, als Aus-
länder über das schwierige Verhältnis zwischen Stadt und Land einen
Witz zu machen. Das ist den Franzosen selbst vorbehalten.
»Es dürfte anerkannt sein, dass von allen Städten der Welt Paris die
ist, wo der Geist und Geschmack der Unterhaltung am meisten
verbreitet sind«, so Madame de Staël in ihrem Buch Über Deutsch-
land . 1810 hat sie es fertiggestellt. Schon vor der ersten Aulage
wurde es verboten. Die Deutschen würden darin angeblich zu gut
wegkommen, warf man ihr vor. Ein Todesurteil. Erst fünf Jahre
später konnte das Werk erscheinen und prägte bei unseren Nach-
barn für viele Jahrzehnte das Bild von Deutschland als dem »Land
der Dichter und Denker«. Noch zweihundert Jahre später ist es eine
wunderbare Quelle für manchmal schräge, aber immer doch auch
ein wenig wahre Einsichten über Deutsche und Franzosen. So stellt
die Autorin vergleichend fest:
»Die Deutschen würden nicht übel daran tun, in wesentlichen
Beziehungen einige von den Vorzügen des gesellschaftlichen Geis-
tes in Frankreich zu benutzen: sie sollten von den Franzosen ler-
nen, sich in Kleinigkeiten minder reizbar zu zeigen, um ihre gan-
ze Kraft für größere Gegenstände aufzusparen.«
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