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Jedenfalls wurde nie und nirgends mehr darüber geplaudert und
geschrieben als an der Seine. In einem dieser Stücke heißt es denn
auch maliziös entlarvend: »Sie betrügt wie eine Frau von Welt.« -
Und eine Frau von Welt genannt zu werden, war immer schon das
oberste Ziel jeder Pariserin.
Fast alles, was heute den Reiz und Ruf dieser Stadt ausmacht, hat
im späten 19. Jahrhundert - in der zu Recht sogenannten Belle
Époque - seinen größten Glanz entfaltet. Nachdem George-Eu-
gène Baron Haussmann mit den Boulevards Frischluftschneisen in
eine bis dahin noch mittelalterlich geprägte Stadt geschlagen hat-
te, blühte diese zur Weltstadt auf. Erst mit dieser Umgestaltung
war Paris auch städtebaulich bereit, sich mit der ganzen Welt zu
unterhalten. Die Kehrseite dieser Entwicklung darf jedoch nicht
verschwiegen werden: Die heute auch in deutschen Großstädten
beklagte Gentriizierung hat zwischen Palais Royal und Place des
Vosges schon vor hundertfünfzig Jahren ihren Höhepunkt erreicht.
Die Mieten stiegen ins kaum mehr Erschwingliche, und ganz ne-
benbei wurden die Armen aus der Innenstadt in die Banlieues, die
stetig wachsenden Vororte verdrängt. Paris gehört spätestens seit
diesen Zeiten denen, die sich Paris auch leisten können.
Der Taumel der Belle Époque endete schmerzvoll mit dem Beginn
des Ersten Weltkriegs im Herbst 1914. Seitdem lebt man nicht
mehr von der Ausschweifung, sondern mehr von den Erinnerun-
gen an die Ausschweifung. Wer an dem Glanz vergangener Tage
teilhaben möchte, muss sich mit dem Romancier Marcel Proust
auf die Suche nach der verlorenen Zeit machen. Der Autor hat den
Niedergang der Belle Époque und ihr Ende mit der Ausrufung des
Kriegs in seinem epochalen Werk Auf der Suche nach der verlorenen
Zeit beschrieben.
Ein Klima der verklärenden Resignation hat sich nicht erst seit der
Banken- und Eurokrise breitgemacht. Nicht wenige Franzosen von
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