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das Dach mit Ziegeln bedeckt. Es ist einer der solidesten Bauten
des Slums. Während des Monsuns, sagt Geetha stolz, regne es fast
nicht rein.
Im Slum sehen Westler oft den Abgrund, den Inbegriff von Elend
und Chaos. Dabei sind Slums oft komplexe, funktionierende Städ-
te. Sie wuchern wild und ungeplant, doch ihr organisches Wachs-
tum schafft ganz eigene Strukturen, eine unsichtbare Ordnung -
mit improvisierten Schulen und Krankenhäusern, mit Garküchen
und Geschäften, mit Industrie und Handwerk. Dharavi ist ein
solches langsam gewachsenes urbanes Gebilde. Es liegt mitten im
Süden Mumbais - dem teuersten Plaster Indiens. Allzu gerne wür-
den Stadtplaner und Baulöwen die Häuser von Geetha und ihren
Nachbarn abreißen, um hier Büros und Apartments hochzuziehen.
Beklemmend eng ist es in dem Haus der Witwe Geetha. 17 Men-
schen schlafen hier jede Nacht. Ihre drei Söhne, deren Frauen und
Kinder, außerdem fünf Arbeiter aus einer Gerberei, an die Geetha
ein Zimmer vermietet. Eintausend Rupien nimmt sie so monatlich
ein, etwa vierzehn Euro.
Die Haustür führt direkt in die Küche. Hier sind Wände und De-
cke blau gestrichen. Im Regal stehen, perfekt geordnet, silberne
Dosen. Beschriftet sind sie nicht, denn Geetha kann nicht lesen. Sie
weiß einfach, wo sich Linsen und Reis, Kardamom und Tee verber-
gen. Auf einem Vorsprung aus Beton steht ein Gasherd. Obwohl
Geetha ihn jeden Tag benutzt, sieht er aus wie neu. Was glänzen
kann, glänzt in ihrem sonst so glanzlosen Leben. Deswegen kehrt
sie morgens jeden Raum, ohne Staubsauger oder Putzmittel hält
sie das sauber, was sie hat: ihre Dosen, ihre Herdplatte - ihr Haus.
Nur dreißig Minuten Taxifahrt durch den ewigen Stau entfernt
liegt eine andere Welt. Hier, in einem Anwesen im Villenviertel
Malabar Hill glänzt der Marmorboden. Im Badezimmer hängt ein
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