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Derartige Erfahrungen könnten zu der Annahme verleiten, das of-
fenbare Fehlen von Schamgefühl sei eine charakteristische Ausprä-
gung der chinesischen Kultur. Davon kann freilich keine Rede sein.
Ich kenne keinen Chinesen, der sich beim Drang nach körperlicher
Erleichterung freiwillig für einen Plausch zu anderen setzt. Soziale
Harmonie hin oder her. Es mag Ausnahmen geben, aber wer kann,
der meidet solche Orte.
Das Festmahl ist beendet. In einem roten Kuvert, wie es bei Hoch-
zeiten und ähnlichen Feierlichkeiten stets bereit liegt, hinterlassen
wir eine Hochzeitsspende. Das Brautpaar sehen wir nicht.
Eine simple Zauberformel
Erlebnisse wie diese kann man in China oft haben, was es zu
einem einzigartigen Reiseland macht. Ich habe auf dieser Reise
noch eine Reihe weiterer, schöner Begegnungen: Ein Bäcker in
der historischen Altstadt von Gaoyou zeigt mir die Produktion
seiner »Pirsiche des Lebens« (»Shòutáo«). Ein Koch in Huai'an
erzählt mir zunächst schüchtern und letztlich mit großer Leiden-
schaft jene Sagen, die seinen Gerichten zugrunde liegen. Und zwei
chinesische Mädels in einem Tempel in Nanjing, selbst Touristen,
laden mich nach dem gemeinsamen Trommeln auf der riesigen
Tempelpauke zum Karaoke-Singen ein. Am Ende reift in mir die
Feststellung, dass der höliche Umgang mit Chinesen weit einfa-
cher ist, als uns die zahlreichen und teilweise widersprüchlichen
China-Knigges und Reiseführer glauben machen. Die Zauber-
formel heißt: »Aktiv Harmonie fördern durch Gesicht-Geben«,
dann ist alles gut.
Die verbreiteten »Dos und Don'ts« warnen üblicherweise davor,
die Essstäbchen waagrecht in den Reis zu stecken. Eine derartige
Handlung erinnere die Chinesen an die Räucherstäbchen vor ih-
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