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Geste. Nathalie trinkt nicht mit, von Frauen wird das nicht erwar-
tet. Irgendwie unfair. In Ratgebern steht manchmal, dass männli-
che Gäste ihr Glas »auf ex« leeren sollten. Diesen Ratschlag gilt es
zu hinterfragen. Der betrunkene Zustand ist nicht erstrebenswert,
wenn man sein Gesicht wahren möchte. Es macht stets Sinn, dem
Gastgeber bereits beim Füllen des ersten Glases anzukündigen, dass
man nur wenig trinken möchte. Ab dem zweiten Glas nippe ich,
mehr nicht. Vielleicht gelte ich in den Augen mancher Chinesen
dann als Weichei, unhölich bin ich dadurch aber bestimmt nicht.
Während in Deutschland zumeist nur am Beginn oder höchstens
nochmals nach dem Öffnen einer neuen Flasche angestoßen wird,
prosten Chinesen einander bei geselligen Anlässen überaus häuig
zu, um nicht zu sagen unentwegt. Der Augenkontakt ist dabei eher
lüchtig. Es gilt dasselbe wie bei der Begrüßung.
Bei jeder Aufforderung des kommunikativen Gastgebers stoße ich
mein Glas intuitiv an das seine und löse dadurch zusätzliche Erhei-
terung aus. Was ich in diesem Moment noch nicht weiß: Chinesen
prosten einander üblicherweise zu, ohne mit den Gläsern anzusto-
ßen. Egal. Das Zuprosten ist in China ein beliebtes Mittel, um die
soziale Harmonie am Tisch zu fördern. Die europäischen Verhal-
tensregeln bauen im Wesentlichen auf dem Bemühen auf, seinen
Mitmenschen eine angenehme Zeit zu bereiten, indem man sie in
ihrer Sphäre nicht »stört«. Ziel ist die Maximierung des Wohlbein-
dens durch eine Vermeidung von etwaigen negativen Empindun-
gen. Konträr dazu ist der Ansatz der Chinesen, die das Wohlbeha-
gen ihres Gegenübers durch soziale Wärme zu erreichen versuchen.
Gefragt ist nicht Passivität, wie in Deutschland, sondern ein aktives
Bemühen um den anderen.
Mein Gastgeber legt mir mit seinen Stäbchen den gebratenen Fuß
einer Gans auf den Teller. Daheim würde mir eine solche Nöti-
gung reichlich gegen den Strich gehen, in der chinesischen Provinz
erkenne ich sie als hölichen Versuch der Zuwendung. Ich habe
