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Mit dem Premierminister auf Du und Du
Die Australier sehen ihre Politiker an als das, was sie sind: ihre Repräsentanten,
nicht etwas Höheres. Das schließt auch den Premierminister ein, dem man
ebenso locker begegnet wie dem Nachbarn. So klang dem langjährigen australi-
schen Premierminister John Howard auf seinen morgendlichen Fitnesspazier-
gängen ein lautes »Morning John« von anderen Frühaufstehern entgegen.
Howard war ein Meister des Umgangs mit seinen Wählern und besaß ein
phänomenales Namensgedächtnis. Wenn er in einen Raum in seinem Wahl-
kreis kam, schien er jeden zu kennen, nannte jeden Mann, jede Frau, jedes Kind
beim Vornamen, erkundigte sich nach erkrankten Verwandten, schüttelte eifrig
Hände und baute sich mit seinen Fans für Fotos auf. Einer seiner Vorgänger,
Bob Hawke, ein ehemaliger Gewerkschaftsführer, war überall nur Bob und wur-
de mit Küsschen und Schulterklopfen empfangen. Premierminister Tony Ab-
bott surft morgens am öffentlichen Strand von Manly, wo ihn andere Surfer und
Lebensretter mit einem kameradschaftlichen Nicken begrüßen.
Die Australier sind stolz auf ihre egalitäre Gesellschaft. Sie sprechen einan-
der grundsätzlich mit dem Vornamen an. Selbst in den feindseligsten Tarifver-
handlungen bestehen Gewerkschaftsvertreter und Manager darauf, einander
mit »George« oder »Tom« anzusprechen. Sind die Fronten besonders verhär-
tet, fügt man noch ein schmallippig hervorgestoßenes, eisiges Mate hinzu. Am
Tonfall merkt man: Hier wird einem bildlich die geballte Faust unter die Nase
gehalten. Mate steht in diesem Fall für das deutsche »Freundchen ...«, aber das
Wort hat zahlreiche andere praktische Funktionen. Mates sind Freunde, Kame-
raden, selbst Ehepartner, Arbeitskollegen, Mitglieder des Sportvereins, an de-
ren Namen man sich gerade nicht erinnern kann, oder die Person, an deren
Schulter man sich betrunken ausweint, ohne sie eigentlich zu kennen. Mate ist
aber auch der Premierminister oder der Chef, der Taxifahrer oder dessen Kun-
de. Das Wort ist der große Gleichmacher Australiens.
Die Australier achten darauf, dass sich niemand selbst über andere erhebt.
Nach der Verleihung eines Verdienstkreuzes an einen besonders mutigen Le-
bensretter murmelt dieser verlegen »habe nur meinen Job getan«. Schüler und
Studenten, die wegen großer Leistungen Preise verliehen bekommen, hüten
sich, viel Freude zu zeigen. Intellektuelle, Künstler und Denker werden oft mit
Misstrauen betrachtet. Wer nach Meinung der Australier zu viel Aufhebens von
sich selbst macht, wird schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Dies
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