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Ein paar Stunden später ist der Himmel aufgebrochen. Unter strahlendem Son-
nenlicht marschieren Militärbands und Tausende Soldaten und Veteranen. Al-
te, gebrechliche Männer tragen stolz ihre Medaillen, marschieren gestützt und
unterstützt von ihren Familien hinter dem Banner ihrer alten Militäreinheiten.
Kinder und Enkelkinder tragen die Medaillen ihrer Väter und Großväter. Zehn-
tausende bejubeln die Parade am 25. April jeden Jahres. Premierminister, Mi-
nister und Bürgermeister halten nachdenkliche Reden, in denen der Mut, die
Kameradschaft und die Opferbereitschaft der jungen Männer und Frauen ge-
würdigt werden, die in den zahlreichen Kriegen gekämpft haben, an denen Aus-
tralier teilgenommen haben - vom Burenkrieg über zwei Weltkriege, Korea und
Vietnam bis zu Irak und Afghanistan.
Am 25. April gedenken die Australier vor allem der jungen australischen
Freiwilligen, die 1915 draufgängerisch tapfer, aber oft naiv, für »Gott und das
britische Empire« in den Ersten Weltkrieg gezogen waren. Das britische Ober-
kommando schickte das Australian and New Zealand Army Corps (ANZAC),
junge Australier und Neuseeländer, in kleinen Landungsbooten an die Felsen
von Gallipoli an der türkischen Küste, um die mit dem Deutschen Reich ver-
bündete Türkei zu schwächen. Doch die Militäraktion war ein Desaster. 7600
Australier starben im Kugelhagel gut ausgebildeter Gegner in weit überlegenen
Positionen, 19 000 wurden zum Teil schwer verwundet, bevor die britischen
Generäle den Rückzug befahlen. Die Überlebenden wurden zum Grabenkrieg in
Europa verschifft.
Heute pilgern jährlich Tausende ebenso junge Australier zum Jahrestag der
katastrophalen Schlacht nach Gallipoli, um dort in freundlicher Eintracht mit
den Nachkommen der ehemaligen Feinde ihrer Vorfahren zu gedenken. Die für
den Ausgang des Ersten Weltkriegs eher unwichtige Schlacht bedeutete für vie-
le Australier den Beginn eines eigenen Nationalgefühls. Unter feindlichem Feu-
er entdeckten die jungen Soldaten, dass sie nicht mehr irische, britische oder
schottische Kolonialisten waren, sondern Australier. Vom britischen Oberkom-
mando als Kanonenfutter missbraucht, zogen die australischen Soldaten Kraft
aus ihrer Gemeinsamkeit. Sie kämpften und starben füreinander und für ihr
eigenes, weites Land, nicht für einen weit entfernten König und das britische
Imperium. Sie entdeckten gemeinsame Züge: zähe Durchhaltefähigkeit, Risiko-
bereitschaft, einen tiefschwarzen Humor und eine lockere Respektlosigkeit, die
ihre aus der privilegierten britischen Oberschicht stammenden Offiziere in den
Wahnsinn trieben.
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