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men. »Das war schwer, ich bin nicht sehr gut damit fertiggeworden. Es hat mich
Jahre gekostet. Es gibt halt niemanden mehr, mit dem ich mich an meine Kind-
heit erinnern könnte, der irgendetwas über mein Leben oder meine Vergangen-
heit weiß, niemand, dem ich sagen könnte: Weißt du noch? Ich musste ein ganz
neues Leben anfangen.«
Pauline sah ihre Pflegefamilie nie wieder. Sie hing an Mutti und Papa, trotz
mancher schrecklicher Erinnerungen. Sie schrieb, dichtete, lehrte, sammelte
und erzählte Geschichten ihres Volkes, um Trauer und Wut zu überwinden.
Doch immer noch lebte sie zwischen den Welten und begegnete Rassismus und
Vorurteilen auf beiden Seiten.
Pauline arbeitete in einem Projekt für junge Aborigines in Sydney, als ein
Kollege sie fragte, warum sie dort eigentlich arbeite und woher sie sich das
Recht nehme, die Dreamtime -Geschichten zu erzählen. Sie sei schließlich gar
keine richtige Aborigine und nicht in der Kultur aufgewachsen. »Das hat mich
sehr traurig gemacht. Denn ich denke, dass wir, die gestohlenen Kinder, Teil
der Geschichte unseres Volkes sind. Was wir erfahren haben, ist heute die Ge-
schichte der Aborigines. Wir sind ein lebendiger Teil unserer Geschichte. Wir
leben nicht traditionell, wir sind nicht auf Missionen oder in Reservaten aufge-
wachsen, aber wir sind doch immer noch Aborigines!« In den folgenden Jahren
wurde Paulines psychische Erkrankung immer schlimmer. Sie musste mehr-
mals für längere Zeit in die Klinik. Ihre überlebenden Geschwister konnten ihr
nicht helfen. Auch sie kämpften mit den Folgen der Trennung von ihrer Familie
und ihrer Kultur. Pauline starb am 22. Mai 2003. Sie war 43 Jahre alt.
Paulines Erfahrungen waren kein Einzelfall. Die australische Menschen-
rechtskommission stellte fest, dass sich auch heute noch Zehntausende zum
Teil schwer geschädigte Aborigines mit den Folgen dieses Kapitels der austra-
lischen Geschichte auseinandersetzen müssen. Professor Mick Dodson: »Diese
Politik hat schreckliches Leid verursacht. Sie hat nicht nur das Leben eines Ein-
zelnen ruiniert, nicht nur disfunktionale Individuen geschaffen, sondern eine
ganze disfunktionale Gesellschaft. Es gab keine Bindungen zwischen Eltern und
Kindern, denn sie lebten nicht zusammen. Die Kinder lernten nicht, wie sie sich
wiederum als Eltern verhalten sollten, denn sie hatten nie erlebt, was es heißt
zu lieben, ein Vater oder eine Mutter zu sein oder wie man mit Brüdern und
Schwestern auskommt. Viel zu viele der weggenommenen Kinder waren psy-
chisch, körperlich und sexuell misshandelt worden. Dies ist eine enorme Tragö-
die, weil die Folgen dieser Politik sich bis heute noch weiter fortsetzen.«
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