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auch wieder aufgetaut sein dürfte. Ich bin scheinbar schon dehydriert, denn bis auf den hal-
ben Liter Tee im Aufstieg und die zwei Tassen Wasser, die ich am Stella Point wieder aus-
gekotzt habe, habe ich seit über zehn Stunden nichts getrunken. Angesichts der Tatsache,
dass das Wichtigste am Berg angeblich regelmäßige und ausreichende Flüssigkeitsauf-
nahme ist, bewege ich mich somit deutlich auf gefährlich dünnem Eis. Das kann bei dieser
Höhe und der körperlichen Belastung einfach nicht lange gut gehen. Deshalb bin ich auch
gerade unheimlich sauer auf meinen Guide, dessen einzige Aufgabe es ist, mich erst auf
den Gipfel zu bringen und dann, was noch viel entscheidender ist, sicher wieder vom Berg
runter zu führen. Aber er zieht es lieber vor, sich irgendwo im Nirgendwo rumzutreiben.
Egal,dieserTypkannmirgestohlenbleiben.SanchoPanzaundichwerdenauchohnediese
Pfeife vom Berg finden. Und bis es soweit ist, stolpere ich einfach weiter. Links, rechts,
links, rechts und ich habe immer noch unerträglichen Durst.
Langsam wird das Gelände wieder flacher und keine hundert Meter vor mir tauchen einige
Bergsteiger auf, die sich auch im Abstieg befinden. Der Weg auf dem sie wandern, ist deut-
lich zu erkennen. Er ist über drei Meter breit und zehntausende Paar Schuhe haben ihn of-
fensichtlich innerhalb der letzten Jahre in den sandigen Boden getrampelt. Er zeigt auch
ohne Steinmännchen klar die Lebensadern an, auf denen sich Jahr für Jahr tausende Wan-
derer über den Kilimandscharo quälen und sich damit ein Privileg zu eigen machen, das
schon längst keines mehr ist. Das Privileg, den höchsten Berg des afrikanischen Kontinents
und somit einen der Seven Summits bestiegen zu haben.
Als der kleine Trampelpfad, auf dem ich mich gerade befinde, in den großen Weg mündet,
stoße ich auf eine Dreiergruppe. Zwei junge Männer in meinem Alter mit peruanischen
Wollmützen und ihrem einheimischen Guide. Alle drei sehen ziemlich frisch aus. Wenn
man bedenkt, was sie gerade durchgemacht haben, sehen sie sogar blendend aus. Und
mit dynamischem Schritt ziehen sie an mir vorbei. Den Versuch mit ihnen mitzuhalten,
unternehme ich erst gar nicht. Denn ich kriege keine zweite Luft, auch keine dritte und
schon gar keine vierte. Dessen bin ich mir längst bewusst. Auch diese ganze „links, rechts,
rechts, links“ oder wie auch immer Westentaschenpsychologie funktioniert schon lange
nicht mehr. Und unter den wachsamen Augen des Kibos schaffe ich es gerade mal drei
leidende Schritte zu machen, bevor ich wieder stehen bleiben muss. Und im Halbsch-
laf drehen sich alle meine Gedanken nur um eines: Wie stelle ich es bloß an, um von
diesem Berg zu kommen? Wie schaffe ich die nächsten drei Schritte? Dieses Schreck-
ensszenario wiederholt sich jetzt immer wieder, wieder und andauernd wieder. Ein real-
er Albtraum. Mitten im Abstieg an einer steilen Felsformation, mitten in meinem persön-
lichen Armageddon, steht Gasper plötzlich hinter mir. Mit einem Grinsen auf den Lippen
und gut gelaunt, lächelt er mich an als wäre nichts gewesen. Grinst mir, nachdem er mit
eineinhalb Stunden Abwesenheit geglänzt hat, ganz frech ins Gesicht. Für mich und mein
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