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den tiefen und weichen Boden rammen, um nicht vornüberzufallen. Ein echter Spaß für
große Jungs. Doch was als großer Spaß begann, wird jetzt plötzlich und unbeabsichtigt
purer Ernst. Der weiche und tiefe Boden verwandelt sich in loses scharfkantiges Ger-
öll, während das Gefälle noch weiter zunimmt. Aus dem anfänglich spaßigen, winters-
portähnlichen Schlittern ist nur noch Stolpern, Springen und einbeiniges Rutschen übrig
geblieben. Und ohne die stabilen Trekking-Stöcke wäre wahrscheinlich der Hechtsprung
die vorherrschende Fortbewegungsart oder ich würde auf meinem Hintern bis ins nächste
Camp runterrutschen. Von einem geordneten Rückzug kann man hier definitiv nicht mehr
reden, eher schon von einer überhasteten Flucht vom Berg. Eine Flucht, die ganz schön
kräftezerrend ist. So kräftezerrend, dass sich meine Beine schnell wie Pudding anfühlen
und immer wieder kraftlos nachgeben. Gern wäre ich jetzt auf dem gleichen Weg wie beim
Aufstieg. Der war wenigstens größtenteils fest und schlängelte sich am Berg entlang. Ganz
andersalsdiesegeradeDownhill-Strecke, aufderichmichfastimfreienFallbefinde.Aber
nein, Gasper muss mich ja unbedingt durch diesen miesen Vulkantrichter jagen. Wo steckt
der Typ eigentlich gerade? Außer Wilson, der mir treu wie Sancho Panza nicht von der
Seite weicht, ist weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Wir beide sind anscheinend
die einzigen Trottel, die sich hier durch diesen Teil des Trichters quälen. Und Gasper, mein
treuer Gasper, versteckt sich hinter irgendeinem Felsen und telefoniert oder simst. Simst
oder telefoniert mit seinem Boss, dass wir es bis zum Gipfel geschafft haben. Oder petzt im
Barafu Camp , dass er möglicherweise jemanden hat, der es aus eigener Kraft nicht mehr
zurückschafft, vielleicht sogar abtransportiert werden muss. Damit hat er auch gar nicht so
unrecht. Mit mir geht es bergab. Und das nicht nur wegen diesem gottverhassten, steilen
Vulkantrichter. Angeblich soll insbesondere der Abstieg die kritischste Phase am Gipfeltag
sein, weil sich viele Bergsteiger bereits bis zum Gipfel völlig verausgabt haben, ihnen dann
die Kraft zum nächsten Camp fehlt und den Abstieg dann nur noch mit fremder Hilfe be-
wältigenkönnen.Entwedergestütztoderfestgezurrtaufeinerdieserlustigen,eisernenKar-
ren, die an nostalgischen Wegpunkten die Route schmücken. Aber für mich undenkbar.
Wenn ich es ohne Hilfe bis auf den Gipfel geschafft habe, dann werde ich ja auch verdam-
mt nochmal allein wieder runterkommen. Egal wie, aber auf meinen eigenen zwei Beinen.
Auch wenn es gerade alles andere als danach aussieht. Gerade fühle ich mich einfach nur
beschissen. Ich bin völlig entkräftet, in meinem Schädel dröhnt es immer noch und ich bin
todmüde. Ich bin definitiv einer derer, die ihr letztes Pulver bis zum Gipfel verschossen
haben. Einer derer, die bis aufs Zahnfleisch gekrochen sind, ohne auch nur einen leisen
GedankenandenAbstiegzuverschwenden.Warumauch.Ichdachte,dasSchlimmste hätte
ich überstanden. Dabei geht es jetzt nochmal richtig los. Nochmal richtig ans Eingemachte.
Nochmal in den Kampf um jeden Meter. Diesmal jedoch um jeden Meter vom Berg hin-
unter bis ins nächste Camp. Irgendwo dort unten muss auch gerade meine Motivation rum-
schwirren. Irgendwo zwischen Meeresspiegel und Barafu Camp . Wherever: der Antrieb
ist weg und ich frage mich, wie viel ich eigentlich noch ertragen kann. Frage mich, wie
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