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Nach zwanzig Minuten bin ich nur noch wenige Meter von der Kuppe entfernt. Wenige
Meter bis zum ersehnten Gipfel. Wenige Meter bis zum Uhuru Peak . Ich kann sogar schon
mehrere Leute auf der Kuppe rumlaufen sehen. Hier undda werden Bilder geschossen. Nur
noch die paar Meter bis zur Kuppe und dann links dem Weg folgend. Dort muss irgend-
wo das Gipfelschild stehen, das ich auf Fotos im Internet gesehen habe und bei dem ich
mir in den letzten Tagen so oft vorgestellt habe, davorzustehen. Kurz nach sieben Uhr und
ich mobilisiere noch mal die letzten Kräfte. Setze alles auf eine Karte, um endlich mein
Ziel zu erreichen. Völlig erschöpft habe ich es dann endlich geschafft. Überglücklich stehe
ich vor dem Blechschild mit der Aufschrift: CONGRATULATIONS! YOU ARE NOW AT
STELLA POINT . 5.739 M ASML. Mir wird blitzschnell schlecht. Ist der Berg nicht 5.895
Meter hoch? Heißt das Ding nicht Uhuru Peak ? Und was zum Teufel ist der Stella Point ?
- Nicht der Gipfel. - Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag ins Genick. Mir ist richtig
übel. Mir ist schwindelig. In meinen Ohren rauscht es ununterbrochen. Ein tinitusartiges
PiependurchdringtmeinenSchädelwieNadelstiche.DerAnblickdesSchildeswidertmich
an. Ich muss hier weg. Sofort weg. Bloß weg. Jetzt. Gedankenverloren stolpere ich ziellos
über das kleine Plateau, bis ich links des Metallschildes eine Felsnische mit Sitzmöglich-
keit entdecke. Zielgenau und mit Tunnelblick steuere ich darauf zu. Rempele durch eine
GruppevonBergsteigernundstoßedieseunsanftmitderSchulterzurSeite.Hintermeinem
Rücken höre ich sie noch etwas Unverständliches brabbeln. Kurze Zeit später knallt mein
Körper lautstark auf ein altes Holzbrett das zwischen zwei Felsen eingelassen ist. Gasper
eilt mir nach.
Gasper ist sich dem Ernst der Lage anscheinend bewusst. Zitternd sitze ich zusammenge-
sunken auf der Bank. Währenddessen fummelt er in meinem Rucksack rum und versucht
noch etwas halbgefrorenes Wasser aus der Trinkblase zu quetschen. Alles erscheint wie
in Zeitlupe. Vor meinen Augen verschwimmen die Konturen immer mehr und überall
schweben schwarze Punkte durch mein Blickfeld. Um mich herum nehme ich nichts mehr
wahr - nur noch Gasper, der vor mir kniet und das letzte brauchbare Wasser in die Tasse
meiner Thermoskanne füllt. Er schaut mich dabei an und spricht mit mir. Ich verstehe kein
Wort von dem, was er sagt. Zu übermächtig sind das Rauschen in meinen Ohren und das
Piepen in meinem Kopf. In mir herrscht völlige Resignation. Resignation nicht nur wegen
der körperlichen Schmerzen, die meinen Körper jetzt mehr peinigen als je zuvor. Vielmehr
sind es die mentalen Schmerzen, die viel schwerer wiegen als alle körperlichen es jemals
könnten. Ich habe alles gegeben. Habe mich die letzten Stunden, die letzten Tage so oft
gequält. Stand so oft an dem Punkt, an dem es scheinbar nicht weiterging und trotzdem
habe ich es immer wieder geschafft. Habe mich aufgerafft nach jedem Hieb, den mir dieser
scheiß Berg versetzt hat. Bin so oft stehend k. o. gewesen, aber niemals umgefallen. Und
wozu? Dafür, dass ich eine hässliche grüne Blechtafel mit der Aufschrift Stella Point gese-
hen habe? Und das genau an dem Punkt, wo ich mich endlich am Ende dieses Martyriums
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