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fach nur zu verweichlicht? So wundert es mich wenig, dass mein erster Gedanke, den ich
zurück in der Leuchtschlange fasse, wieder der nächsten Pause und dem nächsten schrof-
fen,weniggastfreundlichen StückFelsengilt.Aberalles Jammern nütztnichts,ichmussso
oder so weiter. Statt Gedanken an die nächste Sitzgelegenheit zu verschwenden, beobachte
ich lieber, wie wenige hundert Höhenmeter über uns die Lichter der Stirnlampen, die im-
mer wieder melodisch aufflackern, im Nichts verschwinden. Vielleicht schon der Gipfel?
Wohl kaum. Eher fantasierendes Wunschdenken. Denn mindestens vier Stunden Aufstieg
habe ich noch vor mir. Vier Stunden voller Qualen und wer weiß, was der Kilimandscharo
nochallesfürmichanGeburtstagsgeschenkenbereithält.Alsostapfeichstupideweiterund
frage mich ein ums andere Mal, ob meine ultraleichten La Sportiva Wanderstiefel gestern
auch schon so unverschämt schwer waren.
Schlafmangel und die Belastungen der letzten Tage fordern jetzt ihren Tribut. Ich werde
mittlerweile immer weiter nach hinten durchgereicht, wodurch die Lichterschlange hinter
mir sehr schnell deutlich kürzer wird als die vor mir. Genauso muss sich Jan Ullrich gefühlt
haben, als ihm Armstrong 2004 auf der 12. Etappe der Tour de France von Castelsarrasin
nach La Mongie davongezogen ist. Aber mein Sportler-Ego packt mich und rüttelt mich
aus meiner Lethargie wach. Die zweifelhafte Ehre der roten Laterne kann gern jemand an-
deres haben. Jeder, aber nicht ich. Also kneife ich die Arschbacken zusammen und erhöhe
meineSchrittfrequenz fürmichinsUnermessliche. MitrasenderGeschwindigkeit zieheich
im Schneckentempo an einigen Leuten vorbei. Unter anderem Leute, die jetzt schon von
ihren Guides am Rücken den Berg hochgeschoben werden. Ich spüre förmlich die Ener-
gie, den blinden Aktionismus und die lodernden Flammen in meiner Brust - keine zehn
Minuten später ist es vorbei mit der Herrlichkeit. Die Akkus sind leer. Statt Aktionismus
herrscht jetzt Zweckoptimismus und die lodernden Flammen taugen höchstens noch als
Teelicht im Halloweenkürbis. Egal, Hauptsache es geht überhaupt voran. Mit gesenktem
Blick stapfe ich Gasper weiter im militärischen Gleichschritt hinterher. Links, rechts, links,
rechts. Das ist mein neuer Plan. Einfach alles ausblenden und stupide innerlich die Sch-
ritte zählen. Einfach nur von Schritt zu Schritt denken. Nicht mehr, aber auch nicht weni-
ger. Ein echt guter Plan, bis ich plötzlich anfange zu torkeln und drohe, vom Trampelfp-
fad in die schwarze Nacht zu stürzen. Und obwohl ich schon im Dunkeln den Erlkönig
leise rufen höre, schaffe ich es dennoch meinen rechten Wanderstock in das Geröll ab-
seits des Pfades zu bohren und einen unsanften Aufprall zu verhindern. Ich schnaufe kurz
durch. Gasper, dem dieser kurze Ausritt nicht unbemerkt geblieben ist, dreht sich lang-
sam um zu mir. Im Licht der Stirnlampe beäugt er mich skeptisch und versichert sich mit
einem „Daumen hoch“, ob es mir gut geht. Also zeige ich ihm meinen in zwei Handschuhe
eingepackten Daumen und recke ihn gequält enthusiastisch nach oben. Was auch sonst.
Aufgeben?LieberlasseichmichvomBergtragen,alsheuteaufhalberStreckeaufzugeben.
Komisch, dass ich in dieser Situation an eine Romanverfilmung von Joseph Martin Bauer
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