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die meinem Körper stark zu schaffen macht. Ich versuche, Energie zu sparen und ganz
ruhig und tief weiter zu atmen. Denn damit, dass die viel besungene Akklimatisierung und
ich auf dieser Tour keine echten Freunde mehr werden, habe ich mich an diesem Punkt
meiner Reise längst abgefunden.
Nach etwa zwei Stunden treten wir aus der Lichterschlange heraus und machen kurz Rast
an einem großen, u-förmigen Felsmassiv, das mit seinen schroffen und rauen Wänden
geradezu zumgemütlichen Verweilen einlädt. Mitmeinem Licht sucheichdieunmittelbare
Umgebung ab. Wo ich jetzt bin? Keine Ahnung. Nicht, dass ich es jemals innerhalb der
letzten Tage wirklich gewusst hätte, aber jetzt tappe ich regelrecht im Dunkeln. Im Licht
meiner Stirnlampe tauchen immer mehr Leute auf und gesellen sich zu uns. Die Nacht ist
gespenstisch still. Keiner spricht. Nur das Schnaufen und Schniefen der Bergsteiger sowie
das Klappern von Gepäck und Klackern der Wanderstöcke auf Stein ist zu hören. Und ob-
wohl ich mich in dieser Nacht mit anderen Bergsteigern gemeinsam zwischen diese Felsen
am Kibo zwänge, fühle ich mich isoliert. Ich habe den Eindruck, dass ich ganz und gar auf
mich allein gestellt bin. Dass ich mich mit jeder Faser meines Körpers in einem Kampf
befinde. Ein Kampf, nicht nur gegen den Berg, sondern in erster Linie gegen mich selbst.
Ein Kampf, der heute Nacht seinen Höhepunkt finden könnte und bei dem mir kein an-
derer, weder mein Guide Gasper noch mein Träger Wilson, helfen kann. Denn hier und
heute kommt es einzig und allein auf mich an. Garantiert niemand wird mich huckepack
diese Serpentinen hochschleppen oder auf einer Sänfte bis auf den Gipfel hochschunkeln.
Ich muss mich selbst quälen, muss jeden Schritt von mir selbst einfordern, muss für mein
Gipfelfoto kämpfen oder meinem Traum vom Uhuru Peak heute endgültig den Rücken
zukehren.
Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir: zwei Uhr Ortszeit oder ein Uhr deutsche Zeit.
Ganz nebenbei bin ich seit einer Stunde offiziell dreißig Jahre alt. So ist das halt mit der
magischen 30: Manche gehen in den Keller zum Weinen, andere lassen sich von ihren Fre-
unden zur Feier des Tages mit dämlichen Spielchen quälen und wieder andere klettern ir-
gendwo in Afrika auf einen beknackten Berg. Augenscheinlich gehöre ich zur letzteren,
leicht bekloppten Kategorie, die die ersten leichten Anflüge von Midlife-Crisis mit dem
Nervenkitzel des Abenteuers zurückdrängt. Doch Geburtstag hin oder her, zum Feiern ist
mir nicht zumute. Nicht jetzt. Ich will diesen blöden Berg bezwingen. Koste es, was es
wolle!
Ich gehe weiter. Diese Pause war ohne Zweifel viel zu kurz. Mein Verständnis von einer
Pause war bisher immer, dass diese zur Erholung dienen sollte. Also wie kann es dann
bitteschön sein, dass der erste Schritt nach der Pause mühsamer ist, als es der letzte vor der
Pause war? Sollte es sein, dass der Berg die Biologie ad absurdum führt oder bin ich ein-
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