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schier unglaublichen Entbehrungen und Leistungen der Bergsteiger mit der Besteigung des
Kilimandscharos zu vergleichen, aber ich glaube, der Kibo ist der Mount Everest des klein-
en Mannes. Und genau dieses Gefühl, diese Atmosphäre vermittelt dieses Lager. Ein Ge-
fühl von Endgültigkeit. Vielleicht war alles Vorhergegangene, die Tagesetappen, die stun-
denlangen Märsche und die ansteigende Höhe für den einen oder anderen nur ein Spaß.
Aber hier im Basislager spürt man deutlich die Anspannung jedes Einzelnen. Anspannung,
die sich über das Lager legt wie die dicken Wolken, die nun vom Wind zunehmend in
das Camp getrieben werden. Sah man in den anderen Lagern noch viele Bergsteiger um-
herlaufen und die Umgebung erkunden, so macht das Lager jetzt einen menschenleeren
Eindruck. Fast alle befinden sich in ihren Zelten. Zelte, die Schutz vor der unwirklichen
Umgebung bieten. Zelte, die überall im steil abfallenden Geröllhang als Farbtupfer Wind
undWettertrotzen.Nurganzvereinzelt seheichBergsteiger,dieversuchen,ein-oderzwei-
hundert Meter weiter aufzusteigen, um sich an die Höhe zu gewöhnen. Ich schaue ihnen
nach, bis sie verschwinden. Verschwinden unter der dicken Wolkendecke, die den Gipfel
umgibt. Auf der einen Seite finde ich es schade, dass der Berg sich mit seiner vollen Pracht
vor mir versteckt. Auf der anderen Seite bin ich ganz froh darüber, dass ich das Elend, was
mir noch bevor steht, nicht ansehen muss. Fest steht nur, dass ich nicht in der Lage bin,
heuteauchnureinenMeterweiteraufzusteigen.UndwährendichdenFittenunterdenLah-
men zusehe, bis sie in den Wolken verschwunden sind, überlege ich mir schon zum drit-
ten Mal, wie ich es anstelle, die 30 Meter bis zum Klohäuschen hochzukommen. Eigent-
lich komisch, dass ich jetzt schon zum x-ten Mal über den Gang zum Klo grübeln muss,
aber genau das sind die leidigen Probleme, mit denen ich mich alltäglich am Berg ausein-
ander setzen muss. Aber es nützt ja alles nichts. Also los geht's. In zwei Etappen, ganz
langsam und zehn Minuten später, habe ich mein Ziel erreicht. Das Klohäuschen. Das Klo-
häuschen zu erreichen, hat fast schon etwas von Gipfelglück. Im Gipfelglück und stolz wie
Oskar, diese kolossale Leistung vollbracht zu haben, genieße ich den Triumph und bleibe
noch eine Viertelstunde dort oben stehen. Eine Lüge. Denn in Wirklichkeit habe ich immer
nochbutterweicheKnieundscheuemichdavorzumZeltabzusteigen.Umsomehratmeich
durch, als ich wieder am Zelt ankomme und den Weg, der mich ähnlich stark angestrengt
hat wie der Aufstieg, ohne Sturz überstanden habe. Mittlerweile steht auch mein Zelt und
es wird allerhöchste Zeit mich hinzulegen.
Gasper kommt in mein Zelt, um mit mir den Zeitplan abzustimmen: erst Abendessen, dann
etwas schlafen, um dreiundzwanzig Uhr wecken und gegen Mitternacht Aufbruch zum
Gipfel.SoistseinPlan,soistunserPlan.Eigentlichganzsimpel,oder?Dummnur,dassich
mir gerade überhaupt nicht vorstellen kann in wenigen Stunden 1295 Höhenmeter bis zum
Uhuru Peak aufzusteigen. Genauer gesagt, kann ich mir nicht einmal vorstellen, erneut die
30 Höhenmeter bis zum Klohäuschen zurückzulegen. Aber ich vertraue ihm. Vertraue da-
rauf, dass er mich auf den Gipfel dieses höchsten afrikanischen Berges führt. Auf diesen
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