Travel Reference
In-Depth Information
Plötzlich und völlig unerwartet tauchen wir in eine surreale Umgebung ein. Alles ist in di-
chten, weißen Nebel gehüllt, so dass ich förmlich die hohe Luftfeuchtigkeit spüren kann,
wie sie sich auf meine Haut legt und die Atemwege durchflutet. Beim weiteren Abstieg
erscheinen im Nebel erst schemenhaft, dann immer markanter Riesenlobelien und überdi-
mensionierte Senezien. Und irgendwo in der Nähe, jedoch gut verborgen im Nebel, höre
ich das beruhigende Rauschen eines Baches und das Plätschern eines kleinen Wasserfalles.
Als sich der Nebelschleier langsam lichtet, erreichen wir nach insgesamt sieben Stunden
die Barranco Hut auf 3.940 Metern. Direkt vor der Hütte sitzt ein anderer Bergsteiger mit
einem dieser nutzlosen Souvenir-Wanderstöcke undverleiht gerade seiner Erschöpfungmit
lauten, talerschütternden Schreien Ausdruck. Ich kenne ihn und seine Sprache zwar nicht,
aber Fluchen ist international und braucht sicherlich keine Übersetzung. Gasper dreht sich
um, grinst mich verschmitzt an und denkt wahrscheinlich in diesem Moment das gleiche
wie ich und die italienische Altherrencombo, die sich durchgeschwitzt und müde gemein-
sam mit uns ins Park-Buch einträgt.
Im Camp, das zu beiden Seiten von hohen Felswänden flankiert ist, herrscht wie bereits
schon in den anderen Camps zuvor, illustre Geselligkeit. Kein Wunder, treffen doch hier
Teams mehrerer Besteigungsrouten aufeinander, um dann nach einer oder zwei Über-
nachtungen weiter in Richtung Uhuru Peak aufzusteigen, dem höchsten Punkt des ges-
amten Berges und auch zugleich mein unumstößliches, aus Lavagestein geformtes Ziel.
Das ganze Lager ist überfüllt mit bunten Zelten und Menschen aller Nationalitäten. Und
das Erste, was mir bei diesem Anblick in den Sinn kommt, sind die Worte vom großen
Reinhold Messner. Messner hatte sich selbst am Kilimandscharo für seine Besteigung des
Mount Everests vorbereitet und einst das heutige Bergsteigen am Mount Everest mit Mas-
sentourismus verglichen. Ja, Massentourismus trifft es hier am „Kili“ auch ziemlich gut.
Sicherlich ist das Barranco Camp so überfüllt, weil die geführten Bergtouren dort auch
häufig einen Ruhetag zur Akklimatisierung einlegen. Jedoch kratzt so ein überfülltes Lager
schon ziemlich an der Wunschvorstellung eines einzigartigen Individualabenteuers. Nichts
vom Mythos wie: ein Mann, ein Berg. Sondern vielmehr 25.000 Individuen jährlich, die
alles andere als individuell über die Hänge des Kilimandscharos bis zum Uhuru Peak über
ausgelatschte Routen geschleust werden sollen. So zumindest die Theorie. In der Prax-
is hat sich die Höhe bereits als unkalkulierbare Größe erwiesen und das Feld derer, die
am Machame Gate mit mir aufgebrochen sind, ist schon sichtlich ausgedünnt. Apropos
Akklimatisierungstag. Welch sinnstiftendes und wohlklingendes Wort. Aber diesen Tag
wird es für mich leider nicht geben, denn Gasper hat sich ganz fest in den Kopf gesetzt,
dass ich am neunten August, meinem Geburtstag, auf dem Gipfel stehe. Ein sportliches
Ziel angesichts meiner aktuellen Verfassung. Doch noch lässt mein Guide darüber keinen
Zweifel aufkommen.
Search WWH ::




Custom Search