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men, jenen nordafrikanischen Einwan-
derern, die in vielen Orten der Proven-
ce die Problemviertel bevölkern.
„Jeder hier“, so schrieb das Magazin
„Le Point“, „kennt seinen Rentner, der
sich nach halb sieben nicht mehr auf
die Straße traut“. Kann Geschichten
erzählen von einem Onkel, der be-
droht wurde, fürchtet um das Wohl
seiner Familie, hatte selbst schon mal
ein komisches Gefühl beim Spazieren-
gehen. Regt sich auf über den jungen
Ausländer, der provozierend durch die
Straßen schlendert mit seiner Baseball-
Mütze, der Designer-Kleidung aus-
führt und der jeden Moment stehlen
oder vergewaltigen könnte.
Nichts Neues also? Wahlforscher
und Reporter haben für die Ergebnisse
des Jahres 2002 noch eine andere Er-
klärung: Die starke regionale, zum Teil
sogar lokale Identität. Das Traditions-
bewusstsein der Provenzalen, das für
den Tourismus so gewinnbringend ist.
So hatte der Front National in St-Gilles
gezielt die Bräuche und Feste der Ca-
margue in seine Wahlkampf-Arbeit
einbezogen. Funktionäre des Front
National stützen sich auf regionale
Mythen und Vorbilder, sie zitieren
Daudet und Mistral, beschwören ihre
Provence gegen ein Europa, das an-
geblich kulturelle Unterschiede platt-
bügelt. Und sie erwecken den Ein-
druck, das Land verkomme. Die Pro-
vence, wie sie so gern stilisiert wird,
angegriffen von all dem Neuen, dem
Anderen, dem Hässlichen. Die Wüste
aus Hochhäusern, Schnellstraßen, Im-
bissketten, die sich ausbreitet rund um
mittelalterliche Stadtkerne, das Elend
dieser Betonviertel, die Gewalt, all die-
se Dinge, die man früher nicht kannte.
Natürlich ist das der alte Graben
zwischen arm und reich. Aber hier
scheint er mehr als anderswo ein Le-
bensgefühl zu bedrohen, eine Idylle zu
zerstören, die man so gern bewahrt
hätte, eine Idylle auch, in der für Frem-
de kaum noch Platz bleibt.
Auch in jüngster Zeit hat die radika-
le Rechte die Provence als landesweite
Hochburg behaupten können. Zwar
schien es zunächst so, als könne Nico-
las Sarkozy diesen Trend stoppen. Als
er 2007 zum Präsidenten gewählt wur-
de, gewann er im Vaucluse 60 Prozent
der Stimmen, deutlich mehr als im
Rest Frankreichs. Mit klassischer Law-
and-Order-Politik, die er als ehema-
liger Innenminister glaubwürdig ver-
körperte, und mit seiner Parole „von
jenem Frankreich, das früh aufsteht“,
jagte er der Front National Stamm-
wähler ab. Doch der Erfolg war nur
von kurzer Dauer. Bei den Regional-
wahlen 2009 feierte Le Pen sein
Comeback: mehr als 20 Prozent in der
Provence. Es war das beste Ergebnis
im ganzen Land. Die Kampagne, die
ganz auf die Angst vor sogenannter
„Islamisierung“ setzte, war am Mittel-
meer besonders erfolgreich. Sarkozy
hingegen hatte weder die Kriminali-
tätsstatistik nennenswert verbessern
noch die Kaufkraft der Mittelschicht
steigern können.
Im Januar 2011 übergab Jean-Marie
Le Pen den Parteivorsitz der Front Na-
tional an seine Tochter Marine, die in
rechtsextremen Kreisen Frankreichs ei-
nen hohen Popularitätsgrad genießt.
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