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Bewässerungssysteme
Ein üppiger Garten tut sich auf, fruchtbar
und überreich an natürlichen Schätzen, ein
Schlaraffenland aus Früchten und Gemüse
- das ist der erste Eindruck etwa von den
Alpilles, dem Umland von Salon oder den
Ebenen bei Cavaillon. Doch der Schein
trügt: Was da blüht und gedeiht, ist nicht
gottgegebener Reichtum, sondern Frucht
menschlicher Planung, genauer: das Werk
von Ingenieuren und Bauarbeitern. Denn
die blühende Pracht hängt vom Wasser ab.
Wasser, das es nicht gab, bis ein Netz von
Kanälen es in jeden Winkel der provenzali-
schen Ebenen leitete.
Die frühesten Bewässerungskanäle stam-
men aus römischer Zeit, und manche da-
von sind noch heute in Gebrauch. Später,
im 8. Jh., leiteten Landbesitzer in Château-
renard und Eyrargues in den Alpilles Was-
ser aus der Durance über ihre Felder,
gleichzeitig trieben sie damit Getreide- und
Ölmühlen an. Dieser Kanal war immerhin
12 km lang. Doch die Mühe, ihn zu graben,
trat bald zurück hinter die Mühe, ihn zu be-
treiben: Jahrhundertelang blieb der Kanal
Gegenstand von Prozessen.
Man könnte das als lokales Gezänk ab-
tun, wenn es sich nicht dauernd und über-
all wiederholt hätte. Wasser ist in diesem
Land nun einmal viel zu kostbar, als dass
man großzügig damit umgehen könnte. Als
die großflächigen und weit verzweigten
Bewässerungssysteme entstanden, die
meisten erst nach Ende des Mittelalters, be-
gann abermals eine lange Kette von Pro-
zessen und Streitereien. Wer durfte Wasser
entnehmen, wie viel und zu welchen Zei-
ten? Welcher Bedarf war überhaupt be-
rechtigt, welcher verschwenderisch? Wie
hoch sollten die Abgaben sein? Und wie
sollte man die Kosten aufteilen, wenn die
Kanäle ihrerseits von Nebenkanälen ange-
zapft wurden?
Es ging um ein lukratives Geschäft. Viele
Kanäle wurden von privaten Investoren fi-
nanziert, die von den späteren Wasserver-
brauchern happige Gebühren kassierten.
Es kann also nicht erstaunen, dass Besitzer
und Gesellschafter in der Französischen
Revolution erst einmal enteignet wurden.
Angezapft hat man meist die Durance,
den einzigen großen Fluss, der die Proven-
ce in west-östlicher Richtung durchquert.
Eines der kühnsten Projekte verwirklichte
gegen Mitte des 16. Jh. Adam de Craponne
aus Salon. Der Ingenieur, in Diensten des
Königs stehend, erhielt von diesem die Er-
laubnis, einen Kanal von der Durance bis
zum Etang de Berre zu bauen, den später
nach ihm benannten Canal de Craponne.
Die Ankunft des Wassers in Salon versetzte
die Stadt in einen Freudentaumel; bis heute
wird der Ingenieur als die neben Nostrada-
mus größte Persönlichkeit der Stadtge-
schichte gesehen. Auffallend viele Brunnen
symbolisieren den Wert des Wassers.
Craponne hatte noch größere Pläne:
Auch Arles, Aix und Marseille sollten Was-
ser aus der Durance bekommen. Er selbst
konnte das nicht mehr verwirklichen, doch
bald nach seinem Tod grub man vom Ca-
nal de Craponne bei Salon einen Seiten-
arm nach Arles. 42 km lang und 4 m breit,
wurde er 1582 nach nur neun Monaten fer-
tig. Der Aquädukt, der das letzte Stück zwi-
schen Pont-de-Crau und Arles überbrückt,
ist heute noch zu sehen, er orientiert sich,
obwohl viel kleiner, vage an der Architektur
des Pont du Gard, dem unerreichten Vor-
bild jedweder Wasserleitung.
Was den Kanal von der Durance nach
Aix und Marseille betrifft, so konnten sich
jene beide Städte natürlich nicht einigen.
So baute Marseille seinen eigenen Kanal,
den Canal de Marseille, 83 km lang, der
1848 nach neunjähriger Bauzeit fertig wur-
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