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le und davonbrausender Gangsterli-
mousine, das ist eine dieser Fragen,
die sich wahrscheinlich ernsthaft gar
nicht beantworten lassen. Aber natür-
lich soll es in Marseille passiert sein -
1935. Marseille gilt seit Langem als ei-
ne Stadt, in der Überfälle zum Tages-
geschäft gehören. Und in der Tat: Es
gibt kaum einfachere Methoden, sich
lächerlich zu machen, als bei der Mar-
seillaiser Polizei einen Einbruch in ein
Auto zu melden. Nur passiert einem so
etwas auch anderswo im Süden, vom
beschaulichen Arles bis zum feinen
Aix.
Den Ruf aber hat Marseille, und das
nicht ganz zu Unrecht. Sprechen wir
nicht von der ordinären Straßenkrimi-
nalität. Sprechen wir auch nicht von
Korruption und gewöhnlichen mafiö-
sen Verhältnissen, wie sie einer Hafen-
stadt dieser Lage und Größe zukom-
men. All das gibt es in Marseille mehr
als genug.
Nehmen wir stattdessen die Berufs-
gruppe, die anderswo das höchste
aller Ansehen genießt, die Ärzte. Voilà,
Marseille bietet dazu - den Kliniken-
krieg. Der liegt noch gar nicht so
lange zurück, es war Anfang der
1990er Jahre. Als Feldherren wirkten
Klinikbesitzer, die um Betten rivalisier-
ten, an der Front arbeiteten ganz ge-
wöhnliche Killer. So kam es, dass ein
gewisser Dr. Jean-Jacques Peschard ei-
nes Abends beim Verlassen einer Piz-
zeria erschossen wurde - „abge-
knickt“, wie die Schützen später zu
Protokoll gaben, obgleich der Auftrag-
geber nur „angeknickt“ bestellt haben
wollte.
Das Opfer war Chirurg und Bezirks-
bürgermeister, der als Auftraggeber
verdächtigte Mann war Verwaltungs-
direktor einer Klinik. Zu allem Über-
fluss wurde Letzterer zur Entourage
des späteren Bürgermeisters Vigou-
roux gezählt, eben jenes Politikers, der
sich im Wahlkampf nachsagen lassen
musste, von dem panamaischen Polit-
kriminellen Manuel Noriega finanziert
zu werden, der aber gleichwohl auf-
zuräumen versprach mit dem „System
D“ - „D“ für Defferre und „System“ für
ein schier undurchschaubares Ge-
flecht von Beziehungen zu Gott und
der Halbwelt.
Das Image der Ärzte ist besonders
schlecht in Marseille. Aber natürlich
gab es nicht nur den Klinikenkrieg.
Man denke an den Limonadenkrieg
der 1970er Jahre (60 Tote) oder an das
Massaker in der Bar du Téléphone
1979 (zehn Tote).
In jüngster Zeit macht eine neue Art
von Bandenkriminalität Schlagzeilen:
schwer bewaffnete Jugendliche, die
den Drogenhandel unter sich auftei-
len. Gezielt werden sogar Kinder als
Dealer angeworben, weil sie juristisch
nicht belangt werden können. Die
Brutalität dieser Gangs ist beispiellos.
Regeln, wie es sie früher in der Unter-
welt gab, gelten nicht mehr. Minder-
jährige, die mit Kalaschnikows umher-
ziehen, ein 16-Jähriger, der mit Kopf-
schuss getötet wird, ein Elfjähriger, der
angeschossen wird - auch das ist Mar-
seille im Jahr 2011.
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