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Erbe behutsam umgeht und auch den
Tourismus im Auge behält.
Dazu gehört, dass renommierte Ar-
chitekten mit der Instandsetzung des
völlig heruntergekommenen Viertels
um die Porte d'Aix beauftragt sind.
Dazu gehört auch, dass 1988 eine rie-
sige Kläranlage in Betrieb ging und die
Strände seitdem nicht mehr Kloaken
gleichen.
Die überlange Regierung Gaston
Defferres, der bis zu seinem Tod 1986
in typisch südlicher Manier eines
Übervaters sein Marseille beherrschte,
der Widerspruch nicht duldete und
Fantasie und Kreativität lähmte, diese
Regierung entpuppte sich als eine Bür-
de, von der die Stadt sich langsam erst
befreit.
Seit den 1990er Jahren ist städte-
baulich einiges in Bewegung geraten:
Etwa in der Rue de la République.
Einst flanierten hier die Seeleute, dann
verkam die Gegend allmählich zu ei-
nem Arme-Leute-Viertel, und nun wird
in einem Tempo luxussaniert, das vie-
len Alteingesessenen Angst macht.
Mieter werden vertrieben, Eigentümer
gelockt, und das mit zweifelhaften
Methoden. Räumkommandos sollen
unterwegs sein, in leer stehenden
Wohnungen wird, so heißt es, im Auf-
trag von Investoren alles kurz und
klein geschlagen, damit keine Illegalen
einziehen können. Teil des Mega-Pro-
jekts „Euroméditerranée“ ist neben
der Sanierung von Wohngebieten
auch die Umwandlung von Docks in
Gewerbeflächen oder die Umgestal-
tung der riesigen alten Tabak-Manu-
fakturen mit 120.000 Quadratmetern
Fläche zu Kunst- und Kultureinrichtun-
gen. Am Fort Saint-Jean entsteht im
Rahmen der Kulturhauptstadt 2013
das spektakuläre „Musée des civilisa-
tions de l'Europe et de la Mediter-
ranée“, ein Museum der Kulturen des
Mittelmeerraumes. Überall in der Stadt
wird geplant, gebaut, saniert. Die Ent-
wicklung, die andere Städte über Jahr-
zehnte hinweg vollzogen haben, er-
lebt Marseille nun in einem irrwitzigen
Zeitraffer. Damit könnte einiges von
dem verloren gehen, was die Stadt
ausmacht: Vielfalt.
Noch ist hier manches anders als im
Rest des Landes. Als in den Vororten
von Paris die Autos brannten, da blieb
es in Marseille erstaunlich ruhig. Der
Schmelztiegel, in dem sich alles
mischt, erzeugt weniger Ausgrenzung,
weniger Hass. Schon der Begriff „Ban-
lieue“, mit dem in ganz Frankreich die
Hochhaus-Vororte der buchstäblich
„Verbannten“ bezeichnet werden,
wird in Marseille praktisch nicht ge-
braucht. Die Armen wohnen bisher
sichtbar auch mitten im Zentrum - sie
gehören dazu.
Nun aber könnte es ähnlich kom-
men wie in Paris - die Innenstadt als
eine Art Museum, in dem keine Arbei-
ter mehr wohnen, nur noch Reiche,
das die Armen abdrängt in Gettos am
Rande der Stadt. Es wäre ein hoher
Preis, den Marseille zahlen müsste für
den lange ersehnten Aufschwung.
Chicago am Mittelmeer -
mafiöses Marseille
Wo sich das erste „moderne“ Kid-
napping Europas ereignete, mit Pisto-
 
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