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wohnte, nur als zeitweilige Residenz. Den-
noch begann mit ihm die „Babylonische
Gefangenschaft“ der Kirche, deren Führer
in eine weitgehende Abhängigkeit des fran-
zösischen Königtums gerieten. Sie setzte
sich fort unter Johannes XXII. (1316-34),
der - vorher Bischof von Avignon - hier
dauerhaft im Bischofspalast seinen Sitz
nahm. Ihm folgten der Zisterzienser Bene-
dikt XII. (1334-42), der den Alten Palast er-
bauen ließ, der prunk- und kunstliebende
Clemens VI. ( 1342-52), dessen Werk der
Neue Palast ist und der 1348 die Stadt
Avignon für 80.000 Goldgulden von der
Königin Jeanne von Neapel kaufte, und In-
nozenz VI. (1352-62), unter dem die Stadt-
mauer entstand. Schon der Benediktiner
Urban V. (1362-70) versuchte, die Resi-
denz wieder nach Rom zu verlegen, doch
erst Gregor XI. (1370-78) gelang es, mora-
lisch unterstützt von der heiligen Katharina
von Siena, sich gegen den französischen
König durchzusetzen: 1376 verlegte er den
apostolischen Hof von der Rhône wieder
an den Tiber und beendete so das Exil.
Eine Stadt mit krasseren Gegensätzen als
Avignon zur Zeit der Päpste kann man
sich kaum vorstellen: Der Hof des Papstes
(weniger die Päpste selbst als vielmehr die
hohen kirchlichen Würdenträger um sie
herum) entwickelte einen ungeheuren
Prunk und Reichtum, der darauf fußte, dass
er sich wie ein weltliches Wirtschaftsunter-
nehmen gebärdete, wo alles für Geld zu
haben war: Kirchliche Pfründen und Abläs-
se entwickelten sich zu schier unerschöpfli-
chen Einnahmequellen, die Teilnahme an
Kreuzzügen - auch wenn sie gar nicht
stattfanden - kostete Gebühren, alle Arten
von Rechten und jede Reliquie, ob echt
oder unecht, wurden verschachert, und mit
Selbstverständlichkeit beanspruchte die Ku-
rie die Spolien, die persönlichen Nachlässe
der Geistlichen, für sich.
Ganz nach dem Prinzip der Zeit „Dort,
wo der Papst weilt, da ist Rom“ wurde
Avignon zur Hauptstadt der Christenheit
und entwickelte sich zu einem intellektuel-
len, künstlerischen und wirtschaftlichen
Zentrum von ungeheurer Anziehungskraft.
Die 1303 gegründete Universität und die
päpstliche Bibliothek genossen Weltruhm.
An die Höfe des Papstes und der Kardinäle
strömten Reisende, Kaufleute und Kirchen-
männer, Büßermönche, Pilger, Architekten,
Bildhauer und Maler aus aller Herren Län-
der, z. B. die italienischen Maler Matteo
Giovanetti und Simone Martini und der
große Francesco Petrarca (1304-74).
Die Bevölkerungszahl schnellte nach
oben. Im Jahre 1376 zählte man etwa
30.000 Einwohner, was Avignon zu einer
der größten Städte der westlichen Welt
machte. Das gemeine Volk wich entweder
auf das Umland aus oder hauste in den en-
gen, übelriechenden Gassen, deren hygie-
nische Zustände einen idealen Nährboden
für den Schwarzen Tod bildeten. Der fes-
tungsartige Papstpalast, der Petit Palais, die
schönen gotischen Kirchen, Klöster und
Türme und die prunkvollen Kardinalslivrées
müssen diese Elenden in verbittertes Stau-
nen versetzt haben. Vor allem der Dichter
Petrarca hatte einen scharfen Blick für die
Kehrseiten dieser Entwicklung und schrieb:
„Diese Stadt ist eine Abfallgrube, in der
sich aller Unrat der Welt sammelt. Alles,
was es auf Erden an Hinterhältigkeit, Gott-
losigkeit und verabscheuungswürdigen Sit-
ten gibt, findet sich dort angehäuft. Man
verachtet Gott und betet statt dessen Geld
an, man tritt die göttlichen und menschli-
chen Gesetze mit Füßen. Alles hier atmet
Lüge: die Luft, die Erde und vor allem die
Schlafzimmer.“
So hatte das „Exil“ in Avignon das Papst-
tum auf den Tiefstand seiner Geschichte
geführt und derartig geschwächt, dass es
1378, nach dem Tod von Gregor XI., zum
Großen abendländischen Schisma kam.
Die französische Krone dachte nämlich
nicht daran, den durch den Weggang des
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