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In seinem Roman „Die große Her-
de“ von 1931 hatte er Soldaten auf
dem Weg zum Schlachtfeld mit dem
letzten Abtrieb einer Schafherde in
den Bergen seiner Heimat verglichen,
in „Die wahren Reichtümer“ setzte er
1936 dem scheinbar zivilisierten
Großstädter den im Einklang mit der
Schöpfung lebenden Bauern oder
Handwerker entgegen.
Als dann 1939 wieder Mobilisie-
rungsplakate geklebt wurden, auch in
der Hochprovence, da riss Giono sie
in Fetzen - der erste, kurze Gefäng-
nisaufenthalt war fällig. Man rückte ihn
bald in die Nähe deutscher Blut- und
Bodenmystiker, und das Vichy-Regime
schien das zu bestätigen, als es sich
seiner Texte bediente. Beides führte
nach dem Krieg wieder ins Gefängnis.
Dabei machen nicht nur Gionos Pazi-
fismus, auch seine fast anarchische
Lust an der Freiheit und sein Abscheu
vor jeglicher Massenbewegung ihn
der Sympathie für den Nationalsozia-
lismus gänzlich unverdächtig.
Das dreijährige Publikationsverbot
ließ Giono mit stoischer Ruhe ver-
streichen. Der Autor, der sich danach
zu Wort meldete, war nicht mehr der-
selbe. Sein Vertrauen in den Men-
schen und die Natur hatte einen bitte-
ren Beigeschmack angenommen. The-
matisch kehrte er den Zeitläufen gänz-
lich den Rücken und wandte sich
historischen Stoffen zu wie in „Der
Husar auf dem Dach“.
Seine Sprache verlor einiges von ih-
rem lyrischen Überschwung, wurde
trockener, lapidarer, ohne deshalb we-
niger kraftvoll zu sein. Ein Realismus
zeichnete sich ab, der oft mit Stendhal
verglichen wird. Giono rückte den
Menschen in den Mittelpunkt, und
zwar nicht mehr nur als Teil seiner
Landschaft, sondern als Individuum.
Sein Blickwinkel war ein nüchterner,
oft auch skeptischer bis misstrauischer.
Giono erwarb sich mit diesen Roma-
nen großen Respekt, er blieb aber, ob-
gleich er in die Académie Goncourt
aufgenommen wurde, ein literarischer
Außenseiter.
Und er blieb auch weiterhin ein Kriti-
ker jener Militärstützpunkte, Schnell-
straßen und Hochhäuser, die seiner
stillen Hochprovence als zivilisatori-
sche Errungenschaft präsentiert wur-
den. Jean Giono starb 1970, zu früh,
als dass er hätte miterleben können,
wie seine als eigenbrötlerisch abquali-
fizierte Kritik mehr und mehr als be-
rechtigte Warnung erkannt wurde.
Dass die Aktualität des Jean Giono
eher noch zunehmen wird, ist eine so
leicht vorauszusehende wie traurige
Gewissheit.
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