Travel Reference
In-Depth Information
Skurrilitäten - ein Fundus, aus dem
später der Schriftsteller schöpfte.
Den Absprung ins Autoren-Dasein
wagte Giono 1929, in dem Jahr, als
sich nach ersten Veröffentlichungen
mit „Colline“ der Erfolg einstellte. „Der
Hügel“ bildet den Auftakt der Pan-Tri-
logie, in der Giono die karge Welt der
Hochprovence-Bauern schildert, ihre
tiefe Verbundenheit mit einer Natur,
die beseelt ist vom Geist des antiken
Hirtengottes. Der Aberglaube dieser
in ihrem Boden verwurzelten Men-
schen ist nur Oberfläche eines tiefe-
ren, magischen Wissens um die Ge-
heimnisse der bald idyllischen, bald
gefährlichen, entfesselten Natur.
„Es gibt wohl eine ,klassische' Pro-
vence“, schrieb Giono, „ich habe sie
nie gesehen; seit 30 Jahren wohne ich
in Manosque. Ich kenne nur ein wildes
Land. Die Naturgesetze, die Form, Far-
be, Charakter seiner Landschaft be-
stimmen, bestimmen auch den Cha-
rakter ihrer Bewohner.“ Die Provence
Gionos, das ist das raue Hochland
vom Plateau de Valensole bis hinauf in
die Montagne de Lure, das sind herbe
Landschaften voller Weite und Größe,
das sind Menschen, die als Teil dieser
mythologischen Schöpfung leben - ei-
ne „kosmische Einheit“.
Manche werfen Giono vor, er habe
dieses Land gar nicht wirklich gekannt
oder es jedenfalls nicht wahrheitsge-
treu beschrieben. Das trifft zu, will
man seine Literatur als Reiseführer nut-
zen. Gionos Provence ist eine fiktive
Landschaft, die Ortsnamen sind bald
echt, bald verändert oder erfunden,
was existiert, ist durcheinandergewür-
felt und neu zusammengestellt. Un-
wahr wird es deshalb nicht. Im Gegen-
teil: Giono, der allem Oberflächlichen
misstraute, hat die Provence mit schär-
ferem Blick gesehen als die meisten.
Deshalb kann seine Literatur kein Al-
bum des Pittoresken sein.
Ein Ort jedenfalls ist ganz real:
Le Contadour, ein, wie die Franzosen
sagen würden, haut lieu de Giono und
doch nur ein abseitiger, in der Wildnis
vergessener Weiler, hinter dem sich
die schmale Straße alsbald verläuft.
Kaum etwas hat sich verändert, seit
sich Jean Giono hier in den 1930er
Jahren in eine Mühle zurückzog, um-
geben von einer Gemeinde junger
Stadtflüchtlinge. Er tat, was eben zu
tun ist im Kreise solcher Jünger - er
predigte. Ein Irrweg, ein belangloser,
von ihm selbst bald belächelter Fehler,
der doch, und das sagt viel über die
damalige Zeit, Auftakt wurde zu einer
Reihe von Missverständnissen, an de-
ren Ende besagte Verhaftung stand.
Was Giono wirklich am Herzen lag,
war eine Art ganzheitlicher Pazifis-
mus, gewiss mit einer zivilisations-
feindlichen Note, doch wer wollte ihm
das verübeln in dieser Zwischen-
kriegszeit. Pazifist war Giono, seit er
den Ersten Weltkrieg erlebt und Ver-
dun überlebt hatte. „Der Krieg ist kei-
ne Katastrophe“, urteilte er, „der Krieg
ist ein Mittel zum Regieren. Der kapi-
talistische Staat kennt keine Menschen
aus Fleisch und Blut, er kennt nichts
anderes als Rohmaterial für die Pro-
duktion von Kapital, und um Kapital zu
produzieren, braucht er gelegentlich
den Krieg.“
Search WWH ::




Custom Search