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neuen Chancen wollte niemand etwas
hören. Der Tonfilm war eine Modeer-
scheinung, bestenfalls ein perfektio-
nierter Stummfilm.
Pagnol stellte sich etwas ganz ande-
res vor. Im Tonfilm sollte die Sprache
dominieren - eine Theorie, die in der
Kritik nahezu einhellig als „abgefilmtes
Theater“ verpönt war. Ausgerechnet
die Paramount, die Verkörperung des
„Tonfilms wider Willen“, gab nach ei-
ner Reihe spektakulärer Misserfolge in
Europa Pagnol seine Chance. Nach
der Vorlage seines Theatererfolgs ent-
stand mit eben jenen Schauspielern
der Film „Marius“, ein Stoff aus dem
Marseillaiser Hafenmilieu voller
Sprachwitz und Schlagfertigkeit. Das
Werk spielte gewaltige Summen ein
und bestätigte Pagnol in seiner Philo-
sophie vom Dialogfilm, der auch ein
Autorenfilm sein musste.
In der Zusammenarbeit mit dem Re-
gisseur Alexander Korda hatte Pagnol
seine Lehrzeit beim Kino bekommen.
Die Paramount verließ er bald darauf.
Er verachtete den Geist von Holly-
wood und spürte seinerseits, trotz des
Erfolgs, weiter die Herablassung der
Filmoberen gegenüber einem Autor,
dem notwendigen Übel am unteren
Ende der Werteskala.
Und es lockte ihn, der schon als
Schüler seinen Kameraden Liebesge-
dichte verkauft hatte, auch das große
Geld. Die Einnahmen aus „Marius“ in-
vestierte er in eine eigene Produk-
tionsgesellschaft, die Auteurs As-
sociés (in Anspielung auf Chaplins
United Artists ), später die Société des
films Marcel Pagnol. P agnol kontrol-
lierte den gesamten Produktionspro-
zess und organisierte ihn, wie Jean Re-
noir bemerkte, ganz im Stile eines mit-
telalterlichen Handwerkerbetriebes. Er
schrieb die Texte, wählte die Schau-
spieler aus, führte Regie, drehte mit ei-
genen Kameras in eigenen Studios vor
Kulissen, die seine Werkstätten gebaut
hatten, entwickelte in eigenen Labors,
schnitt an eigenen Geräten, um den
fertigen Film dann in sein Verteilernetz
einzuspeisen, ihn sogar in eigenen Ki-
nos aufzuführen. Ein einmaliger Vor-
gang in der Geschichte des französi-
schen Films.
Frei in allen Entschlüssen, fand Pa-
gnol auch zu seinem Stoff. Er ent-
deckte seine Heimat neu, dieses un-
vergleichbare Licht der Provence, das
wilde Bergland seiner Kindheit, die
Mythen und Sagen. Und Jean Giono,
den Poeten der Provence. „Das Uni-
verselle erlebt man nur, wenn man
beim Alltäglichen bleibt“, war Pagnol
überzeugt. Gionos Erzählungen von
einer mystischen Provence, deren
Menschen sich an die einfachen, ech-
ten Reichtümer halten, wurden zur
Vorlage mehrerer Filme: „Jofroi“ über
einen alten, verschrobenen Bauern,
„Angèle“, nach dem „Berg der Stum-
men“, eine poetische Liebesgeschich-
te, „Régain“, Epos über das Sterben ei-
nes Bergdorfes.
Der verklärende Blick auf das All-
tägliche verlieh den Filmen ihre Atmo-
sphäre. „Es gibt keine Kunst außerhalb
der gewöhnlichen Stoffe. Was uns
bleibt, ist, alles neu zu sehen“, so Pag-
nol , dem oft eine besondere Bega-
bung zum Glück nachgesagt wurde.
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