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zen und Tieren ihre Gestalt und Bestimmung gab. Er nannte es in Entlehnung eines
von Aristoteles für die in der Seele selbst liegende Zielsetzung verwendeten Begriffs
Entelechie ( en = in; telos = Ziel, Zweck). Driesch glaubte, an Embryonen etwas Ziel-
gerichtetes erkennen zu können: Wenn sie in ihrer Entwicklung gestört werden, er-
reichen sie trotzdem irgendwie ihre charakteristische Gestalt. Wenn man zum Beispiel
die Embryonen von Seeigeln halbiert, entwickelt sich aus jeder Hälfte ein zwar kleiner-
er, aber vollständiger Seeigel und kein halber Seeigel. Die Entelechie wirkt als eine Art
Anziehungspunkt oder »Attraktor«, der Embryonen und sogar Teile von Embryonen zur
vollständig ausgereiften Form des Lebewesens hinführt.
Der Vitalismus war und ist für die mechanistische Biologie der Gipfel der Ketzerei. Der
Biologe T. H. Huxley formulierte die orthodoxe Lehrmeinung der Biologie bereits 1867
sehr prägnant:
Zoologische Physiologie ist die Lehre von den Funktionen und Aktionen der Tiere. Sie
betrachtet den Tierkörper als eine von verschiedenartigen Kräften angetriebene
Maschine, die dann eine gewisse, anhand der bekannten Naturkräfte darstellbare
Arbeitsleistung erbringt. Letzten Endes geht es der Physiologie darum, die Fakten
der Morphologie einerseits und die der Wechselwirkungen mit dem Umfeld anderer-
seits aus den Gesetzen der molekularen Kräfte abzuleiten. [89]
Hier nimmt Huxley bereits die spektakuläre Entwicklung der Molekularbiologie in den
sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts vorweg, diesen größten je unternommen-
en Vorstoß zur Reduzierung des Lebens auf physikalische und chemische Mechanismen.
Francis Crick, Mitinhaber eines Nobelpreises für die Entschlüsselung der DNA , machte
diesen Plan in seinem 1966 erschienenen Buch Of Molecules and Men (Von Molekülen
und Menschen) sehr deutlich. Er zog über den Vitalismus her und bekräftigte seinen
Glauben an das »Endziel der modernen Strömung in der Biologie«, nämlich »die gesamte
Biologie physikalisch und chemisch zu erklären«.
Der mechanistische Ansatz ist seiner Natur nach reduktionistisch: Er möchte Gan-
zheiten anhand ihrer Teile erklären. Das macht den hohen Stellenwert der Molekular-
biologie innerhalb der Biowissenschaften aus. Moleküle gehören zu den kleinsten Best-
andteilen lebender Organismen, sie sind das Forschungsgebiet, auf dem die Biologie in
Chemie übergeht. Deshalb hat die Molekularbiologie bei dem Projekt, die Phänomene
des Lebens anhand der »Gesetze der molekularen Kräfte« zu erklären, die Führungsrolle
inne. Sollte es den Biologen gelingen, organisches Leben auf die molekulare Ebene zu
reduzieren, können sie die Stafette an die Chemiker und Physiker weitergeben, die dann
die Eigenschaften der Moleküle auf die der Atome und subatomaren Teilchen zurück-
führen werden.
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