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Im neunzehnten Jahrhundert glaubten die meisten Naturwissenschaftler noch, Atome
seien die feste, beständige, nicht mehr reduzierbare Basis der Materie. Im zwanzigsten
Jahrhundert zeigte sich dann, dass auch Atome aus Teilen bestehen - ein Kern in der
Mitte und ringsum Elektronen in ihren Orbitalschalen. Der Kern besteht selbst wieder
aus Protonen und Neutronen und diese abermals aus noch kleineren Teilchen, den
Quarks. Wenn man Kerne in Teilchenbeschleunigern wie CERN bei Genf zertrümmert,
zeigen sich weitere subatomare Teilchen in großer Zahl. Hunderte sind inzwischen iden-
tifiziert worden, und manche Physiker meinen, mit noch größeren Beschleunigern werde
man noch weitere Teilchen finden.
Das Atom ist bodenlos geworden, und dieser Zoo von teilweise extrem kurzlebigen
Teilchen sieht nicht danach aus, als könnte man mit ihm die Form einer Orchideenblüte,
den Sprung eines Lachses oder die Flugbewegungen eines Starenschwarms erklären.
Dem Reduktionismus fehlt jetzt einfach die solide atomare Basis für die Erklärung aller
Phänomene des Lebens. Und davon einmal abgesehen: Organismen sind - unabhängig
von der Frage, wie viele subatomare Teilchen es gibt - Ganzheiten, und wenn man sie auf
ihre Bestandteile reduziert, muss man sie töten und ihre chemische Zusammensetzung
ermitteln. Dabei zerstört man aber gerade das, was den Organismus zum Organismus
macht.
Ich musste mich bereits als Student in Cambridge mit der Beschränktheit des Re-
duktionismus auseinandersetzen. Im letzten Jahr des Biochemiekurses machten wir ein
Experiment, bei dem es um Enzyme in der Leber von Ratten ging. Dazu musste erst
einmal eine über dem Ausguss »geopfert« und mittels einer Guillotine geköpft werden,
dann schnitten wir sie auf und entnahmen die Leber. Die Leber wurde im Mixer püriert
und anschließend zentrifugiert, um die erwünschten von den unerwünschten Fraktionen
der Zellmasse zu trennen. Der wässrige Anteil musste dann weiter gereinigt werden,
um die gewünschten Enzyme zu gewinnen, die wir dann in Reagenzgläser füllten. Bes-
timmte Chemikalien wurden hinzugefügt, und wir bestimmten die Geschwindigkeit der
chemischen Reaktionen. Wir lernten etwas über Enzyme, aber nichts über das Leben
und Verhalten von Ratten. Auf dem Flur des biochemischen Instituts offenbarte sich
das große Problem in Gestalt einer Schautafel, auf der das menschliche Stoffwechsel-
geschehen in seinen chemischen Einzelheiten dargestellt war. Darüber hatte jemand in
großen blauen Lettern geschrieben: » ERKENNE DICH SELBST
Wenn man Lebewesen anhand ihrer chemischen Bestandteile erklären möchte, ist das
so, als würde man einen Computer zermahlen, dann seine chemischen Bestandteile wie
Kupfer, Germanium und Silizium ermitteln, um dann sagen zu können, was ein Computer
ist. Sicher, man erfährt auf diese Weise ein wenig über den Computer, nämlich woraus er
besteht, aber im Prozess der Reduktion gehen sein Bau und die programmierten Arbeits-
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