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Das Leben sprengt die Maschinenmetapher
Die Evolutionstheorie widerlegte das Argument des mechanischen Designs. Gott konnte
Tiere und Pflanzen nicht als Mechanismen erschaffen haben, wenn sie sich durch spont-
ane Abwandlung und natürliche Selektion Schritt für Schritt veränderten.
Lebewesen sind anders als Maschinen aus sich selbst schöpferisch. Pflanzen und Tiere
verändern sich spontan, sie reagieren auf genetische Abwandlungen und stellen sich auf
neue Herausforderungen aus der Umwelt ein. Bei manchen sind die Abwandlungen stärk-
er als bei anderen, und hin und wieder erscheint etwas wirklich Neues. Lebendigen Or-
ganismen wohnt Kreativität inne oder bekundet sich durch sie.
Keine Maschine geht von bescheidenen Anfängen aus, um dann zu wachsen, neue
Strukturen in sich auszubilden und sich dann schließlich zu vermehren. Pflanzen und
Tiere tun das. Sie können sich außerdem regenerieren, wenn sie Schaden genommen
haben. Sie als von ordinärer Physik und Chemie angetriebene Maschinen zu sehen zeugt
von beachtlicher Glaubensfestigkeit; wenn man sie trotz allem, was dagegen spricht,
weiterhin als Maschinen betrachtet, handelt es sich um ein Dogma.
Innerhalb der Biologie wurde die Maschinentheorie des Lebens im Verlauf des
achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts immer wieder von einer Schule des biolo-
gischen Denkens in Frage gestellt, die Vitalismus genannt wird. Vitalisten sagen, Or-
ganismen seien mehr als Maschinen, nämlich wahrhaft lebendig. Für sie existieren jen-
seits von Physik und Chemie Ordnungsprinzipien, die lebendigen Organismen die äußere
Gestalt geben, ihr zielstrebiges Verhalten formen und für Instinkt und Intelligenz der
Tiere verantwortlich sind. 1844 traf der Chemiker Justus von Liebig die für den vital-
istischen Standpunkt typische Feststellung, Chemiker könnten zwar die in lebendigen
Organismen vorkommenden organischen Verbindungen analysieren und synthetisieren,
würden aber niemals in der Lage sein, ein Auge oder ein Blatt zu erzeugen. Außer den
anerkannten physikalischen Kräften gebe es noch etwas anderes, das »die Elemente zu
neuen Formen verbindet, so dass sie neue Eigenschaften bekommen - Formen und Ei-
genschaften, die ausschließlich im Organismus vorkommen«. [88]
In vieler Hinsicht war der Vitalismus das, was von der älteren Anschauung überlebte,
die Seele sei das Ordnungsprinzip aller lebendigen Organismen. Außerdem stand der Vit-
alismus im Einklang mit dem Bild, das die Romantik von der lebendigen Natur hatte.
Manche Vitalisten, zum Beispiel der Embryologe Hans Driesch (1867-1941), griffen ganz
bewusst auf die Seele als formgebendes Prinzip zurück, um diese Kontinuität des Den-
kens hervorzuheben. Driesch glaubte an ein immaterielles Ordnungsprinzip, das Pflan-
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