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Sehr viele Tiere spürten offenbar auch den nahenden Tsunami am zweiten Weihnacht-
stag 2004. Hier lag das auffällige Verhalten allerdings zeitlich weitaus näher am Ereignis
selbst. In Sri Lanka und Sumatra suchten die Elefanten höheres Gelände auf, bevor die
Riesenwelle zuschlug. Auch in Thailand taten sie das, trompetend. Die Bewohner des
Dorfs Bang Koey in Thailand berichteten, eine Herde Büffel habe in Strandnähe ge-
weidet, »als sie plötzlich alle den Kopf hoben und mit aufgestellten Ohren in Richtung
Meer blickten«. Dann stürmten sie alle auf einmal den nächsten Hang hinauf, und die
Dorfbewohner rannten ihnen ratlos nach - was ihnen das Leben rettete. Am Ao-Sane-
Strand bei Phuket auf der gleichnamigen thailändischen Insel liefen die Hunde auf die
Hügel, und in Galle, Sri Lanka, wunderten sich die Leute über ihre Hunde, die an diesem
Tag nicht zum üblichen Morgenspaziergang an den Strand wollten. Im Distrikt Cuddalore
in Südindien flüchteten sich Büffel, Ziegen und Hunde auf höher gelegenes Gelände,
sogar nistende Flamingos taten es ihnen gleich. Auf den Andamanen entfernten sich
»steinzeitliche« Stammesverbände auf das ungewohnte Verhalten der Tiere hin von der
Küste. [463]
Woher wussten die Tiere Bescheid? Am häufigsten wird angenommen, dass sie Er-
schütterungen gespürt haben müssen, die von dem Seebeben ausgingen. Das ist nicht
ganz befriedigend, denn solche Erschütterungen wären doch sicher in der gesamten Re-
gion zu spüren gewesen und nicht nur in den am härtesten betroffenen Küstenstreifen.
Manche Tiere fühlen auch andere Naturkatastrophen wie zum Beispiel Lawinen kom-
men, [464] und sogar Katastrophen von Menschenhand sind nicht davon ausgenommen.
Im Zweiten Weltkrieg achteten viele britische und deutsche Familien genau auf ihre
Haustiere, deren Verhalten oft vor den offiziellen Warnungen auf bevorstehende Luftan-
griffe hindeutete. Das auffällige Verhalten der Tiere setzte ein, wenn die angreifenden
Verbände noch Hunderte Kilometer entfernt waren und die Tiere sie unmöglich schon
hören konnten. In London gab es Hunde, die den Einschlag von V-2-Raketen
ankündigten. Diese Raketen flogen mit Überschallgeschwindigkeit und waren deshalb
nicht vor der Explosion zu hören. [465]
Diese Fähigkeit der Tiere, nahende Katastrophen zu spüren, ist in der westlichen Wis-
senschaft mit wenigen Ausnahmen gar nicht erst zur Kenntnis genommen worden. Das
Thema ist tabu. In den von Erdbeben gefährdeten Gebieten Chinas dagegen fordern die
Behörden die Menschen seit den siebziger Jahren auf, alles ungewöhnliche Verhalten von
Tieren zu melden, und chinesische Wissenschaftler können bei der Vorhersage von Erd-
beben eine stolze Bilanz vorlegen. In etlichen Fällen haben sie vor einem Beben Warnun-
gen ausgegeben, die eine rechtzeitige Evakuierung ganzer Städte ermöglichten. [466]
Das Beobachten von auffälligem Tierverhalten nach chinesischem Vorbild könnte in
erbeben- und tsunamigefährdeten Regionen zu einem tauglichen Frühwarnsystem wer-
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