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Wenn Tiere Katastrophen ahnen
Es gibt viele Beispiele dafür, dass Tiere offenbar das Nahen einer Katastrophe spüren.
Schon aus der Antike besitzen wir Berichte vom seltsamen Verhalten der Tiere vor einem
Erdbeben, und ich habe sehr viel Material aus unserer Zeit über ungewöhnliches Ti-
erverhalten vor Erdbeben gesammelt: 1987 und 1994 in Kalifornien, 1995 im japanis-
chen Kobe, 1997 bei Assisi, 1999 in Izmit in der Türkei und 2001 bei Seattle in Washing-
ton. In allen diesen Fällen gibt es zahlreiche Berichte von wildlebenden und Haus- oder
Nutztieren, die Stunden oder sogar Tage vor dem Beben ängstlich oder angespannt wirk-
ten oder sich auf andere Art ungewöhnlich verhielten. Hunde jaulten stundenlang, viele
Katzen und Vögel verhielten sich auffallend anders. [461]
Bei einer der wenigen gezielten Tierbeobachtungen vor, während und nach einem
Beben ging es um Kröten. Im Frühjahr 2009 untersuchte die britische Biologin Rachel
Grant im Rahmen ihrer Doktorarbeit das Paarungsverhalten der Kröten am Lago di San
Ruffino in Mittelitalien. Kurz nach dem Beginn der Paarungszeit gegen Ende März stell-
te sie erstaunt fest, dass die Anzahl der männlichen Kröten in der von ihr beobachteten
Population plötzlich zurückging. Noch am 30. März hatte sie neunzig aktive Tiere beo-
bachtet, aber am 31. März und während der ersten Apriltage fand sie fast überhaupt
keine mehr. Grant und ihr Kollege Tim Halliday merken dazu an: »Das ist ein für Kröten
höchst ungewöhnliches Verhalten. Wenn sie einmal mit der Paarung begonnen haben,
bleiben sie normalerweise bis zur Eiablage in großer Zahl am Paarungsort aktiv.« Am
6. April wurde Italien von einem Erdbeben der Stärke 6,4 und anschließend von eini-
gen Nachbeben erschüttert. Die Kröten nahmen erst zehn Tage nach dem Hauptbeben
und zwei Tage nach dem letzten Nachbeben ihr Paarungsverhalten wieder auf. Grant
und Halliday studierten die Wetteraufzeichnungen für diese Zeit sehr genau, fanden aber
nichts Ungewöhnliches. Das zwang sie zu dem Schluss, dass die Kröten das kommende
Beben sechs Tage im Voraus gespürt haben müssen. [462]
Niemand weiß, wie Tiere ein bevorstehendes Erdbeben spüren. Vielleicht nehmen sie
sehr feine Geräusche oder Schwingungen wahr. Andererseits, wenn Tiere an leichten Re-
gungen in der Erdkruste das Nahen eines Erdbebens erspüren, weshalb können es die
Seismologen dann nicht? Vielleicht reagieren die Tiere ja auch auf Gase, die aus der Erde
entweichen, oder auf Veränderungen des elektrischen Felds der Erde. Denkbar wäre je-
doch auch, dass sie auf eine gegenwärtig nicht wissenschaftlich erklärbare Weise spüren
oder ahnen, was bevorsteht.
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