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Hirnschäden und Gedächtnisverlust
Bei Gedächtnisverlust oder Amnesie durch Gehirnschäden unterscheidet man zwei
grundsätzliche Formen, die retrograde und die anterograde Amnesie. Retrograde Am-
nesie ist die Unfähigkeit, sich an Ereignisse zu erinnern, die der schädigenden Ein-
wirkung vorausgingen, während es bei der anterograden Amnesie um die Ereignisse
nach der Schädigung geht.
Das geläufigste Beispiel für retrograde Amnesie ist der Verlust von Erinnerungen an
Ereignisse, die einer Gehirnerschütterung vorausgingen. Bei einer Gehirnerschütterung,
verursacht durch einen Schlag gegen den Kopf, wird man bewusstlos und bewegungsun-
fähig. Ob das Bewusstsein nur für Augenblicke oder für viele Tage aussetzt, hängt von
der Schwere des Schlages ab. Wenn der Verletzte sich erholt und wieder sprechen kann,
erscheint er uns meist im Großen und Ganzen wieder als normal, doch mitunter kann er
sich nicht mehr an Ereignisse erinnern, die dem Unfall vorausgingen. Bei fortschreiten-
der Genesung tauchen im Allgemeinen die am weitesten zurückliegenden Erinnerungen
zuerst wieder auf, und nach und nach kehrt dann auch die Erinnerung an Ereignisse aus
der jüngeren Vergangenheit zurück.
In solchen Fällen kann der Gedächtnisverlust nicht auf die Zerstörung von Erinnerun-
gsspuren zurückzuführen sein, da die meisten Erinnerungen zurückkehren. Karl Lashley
gelangte schon vor Jahrzehnten zu einer ähnlichen Schlussfolgerung:
Alles deutet darauf hin, dass Gedächtnisverlust nach Hirnschädigung so gut wie nie
auf die Zerstörung spezifischer Erinnerungsspuren zurückzuführen ist. Gedächtnis-
verlust stellt vielmehr eine allgemeine Reduzierung der Präsenz dar, ein mehr oder
weniger starkes Unvermögen, die organisierten Spurenmuster zu aktivieren; oder es
handelt sich um die Störung eines größeren Systems organisierter Funktionen. [353]
Die meisten Erinnerungen kehren zurück, aber es gibt auch den Fall, dass die Ereignisse,
die dem traumatischen Schlag unmittelbar vorausgehen, nie wieder in die Erinnerung
zurückkehren, so dass eine permanente Lücke bleibt. Ein Autofahrer etwa erinnert
sich noch, wie er sich der Kreuzung näherte, auf der der Unfall geschah, aber dann
weiß er von nichts mehr. Eine ähnliche retrograde Amnesie beobachtet man auch bei
der Elektroschocktherapie. Die Patienten, die so behandelt werden, können sich an-
schließend meist nicht mehr an die Ereignisse unmittelbar vor dem Stromstoß erin-
nern. [354]
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